Und fuehre mich nicht in Versuchung
nicht besser geworden. Weißt du was? Mir wäre es am liebsten, die finden heraus, daß es tatsächlich diese Asiaten waren. Es bewegt sich einfach nichts im Fall Vogel, und ich brauche dringend einen Erfolg. Die Chefin macht mir Druck, Arne und ich arbeiten wie die Blöden und kommen nicht voran. Es wird Zeit, daß sich etwas tut.»
* * *
Es war kaum noch auszuhalten. Eigentlich gar nicht mehr auszuhalten. Es mußte ein Ende haben. Irgend etwas mußte geschehen. Aber gab es ein Ende? Gibt es überhaupt ein Ende? Ist das Schicksal nicht höhnisch, ausgerüstet mit derselben Stimme, die täglich dröhnte und verfolgte?
Wenn das die Ewigkeit war – wie schrecklich! Eine Hölle, ohne Ende, in der diese Stimme dröhnen und verstören und bitten würde!
Es mußte einen Ausweg geben. Einen Ort des Friedens, zu dem man sich flüchten konnte, wo man die Tür zuschließen konnte. Flucht, ja, das wäre möglich, ja die einzige Lösung! Neu anfangen, die Türen zur Vergangenheit zuschließen. Alles ausschließen, was bedrängt. Zu diesem Ort darf niemand sonst Zutritt haben. Alles, was sich hineindrängen will, muß, wenn nötig mit Gewalt, daran gehindert werden. Vielleicht war der Weg zu diesem Ort des Friedens auch nur mit Gewalt erreichbar. Das wäre bedauerlich, aber unumgänglich. Im Kampf des Lebens gibt es Opfer, das war schon immer so.
Nein, niemand durfte auch nur ahnen, wo dieser Ort zu finden ist. Das ist ganz wichtig. Nur so kann es ein Frie-densort werden, wo alles neu beginnen kann. Ohne diese schrecklichen Stimmen. Ein stiller Ort, ganz gewiß. Und rein, unbesudelt. Auch deshalb muß die Vergangenheit draußen bleiben. Es würde Kraft kosten, diesen Ort zu erreichen, doch die Stille, der Friede, sie lohnen jede Anstrengung. Es gilt, sich unverzüglich an die Planung zu begeben. Einfach wird es nicht.
* * *
Susanne Hertz hatte wieder einmal den Bereitschaftsdienst im Kirchenladen übernommen. Sie saß in der kleinen Seitenkapelle der St. Johanniskirche und wartete. Heute hatte sich noch niemand gemeldet, solche Tage kamen vor.
Susanne blätterte in ihrer Bibel. Sie hätte jetzt selbst gern jemanden gehabt, mit dem sie reden konnte. Sicher, sie hatte Tanja und sie hatte Jens. Aber sie brauchte einen Gesprächspartner mit anderen Qualitäten, als die Freunde sie vorweisen konnten. Sie brauchte jemanden, der ihr sagen konnte, was sie tun oder lassen sollte. Susanne wünschte sich einen solchen Menschen und wußte doch ganz genau, daß er eine nicht existierende Wunschvorstel-lung war, daß sie ihren Weg allein gehen mußte, daß es niemanden gab, der ihr die Entscheidungen ihres Lebens abnehmen konnte. Aber vielleicht tat es gut, die verschiedenen Möglichkeiten mit einer unabhängigen Person durchzusprechen, mit jemandem, der ihr nicht so nahe stand wie Jens oder Tanja. Ob der Dekan so ein Gesprächspartner für sie sein konnte? Aber wollte sie ihrem Vorgesetzten ihre privaten Probleme anvertrauen? Sie wußte einfach nicht, wie es mit Jens weitergehen konnte. Sie wußte nicht, ob sie überhaupt in Mainz bleiben sollte, ob sie es ertragen konnte, in dieser Stadt zu leben und nicht mehr mit ihm zusammenzusein. Vielleicht war es ein furchtbarer Irrtum gewesen, in diese Stadt zu kommen.
Wenn sie ihn nicht kennengelernt hätte, dann hätte sie jetzt ihre Ruhe. Aber ihre Liebe zu Jens, die war doch kein Irrtum! Ihre Gefühle waren echt und tief, da war sie sich ganz sicher. Und doch nagte dieser Zweifel an ihr, ob diese Liebe Zukunft haben könnte. Unkonzentriert las sie in den Psalmen. «Du bist mein Schild, meine Ehre, du hebst mein Haupt empor.» Wer war ihr Schild? Wer half ihr, mit Jens und ihrer eigenen Zerrissenheit klarzukommen? Wer hob ihren Kopf hoch genug, damit sie sich selbst wieder im Spiegel ansehen konnte. Heute morgen vor dem Reli-gionsunterricht hatte sie eine halbe Stunde vor dem Kleiderschrank gestanden und nicht gewußt, was sie anziehen sollte. In allen Sachen kam sie sich dick und häßlich vor.
Das waren Alarmzeichen ihrer Seele, das wußte sie. Sie hatte sich selbst vor dem Spiegel angeschrieen und sich beschimpft, daß sie dick und häßlich und unattraktiv und dumm sei. Kein Wunder, daß Jens so distanziert war in der letzten Zeit, wer wollte schon mit so einer fetten Kuh zusammenleben. Susanne schüttelte sich bei der Erinnerung an diesen Ausbruch. Die Kinder im Religionsunterricht mit ihren lebendigen Augen und den neugierigen Fragen nach dem Leben hatten ihr dann gut
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