Und fuehre mich nicht in Versuchung
dankend an, und ein Menü und viele lange Spaziergänge am Rhein später wurden die beiden, fast zu ihrem eigenen Erstaunen, ein Paar. Oft holte Susanne ihren Jens abends im Lokal ab, die beiden tranken dann noch einen Absacker an der Bar und erzählten sich ihren Tag. Wann immer sie Zeit hatten und Jens sich von seinen Baumärkten losreißen konnte, fuhren sie mit dem Rad zu den schönen Zielen der Umgebung, erkundeten das Rheingau und Rheinhessen, wanderten auf den Hügeln des Mittelrheintals und genossen es einfach, einen liebevollen Menschen an ihrer Seite zu wissen. Susanne begleitete Jens auch gerne auf seinen beruflichen Erkundungstouren in die Eifel, wo er auf der Suche nach Bauern war, die ihre Tiere artgerecht hielten. Jens wußte, daß dieses Fleisch einfach anders schmeckte. Er hatte seine bevorzugten Schäfer, die ihm Lammfleisch von vorzüglicher Qualität lieferten.
In den nahen Weinregionen Rheinhessen, Rheingau und der Pfalz forschte er nach jungen, unbekannten Winzern, die mit der gleichen Liebe wie er an der Qualität ihrer Produkte arbeiteten. Susanne hörte ihrem Freund gerne zu, wenn er mit einem Winzer über einen neuen Wein diskutierte, probierte, den Tropfen kauend, schmeckend, sorgfältig prüfend. Sie mochte die Ausflüge zu den alten Schäfern, die genau wußten, wo die beste Weidefläche für ihre Schafe war, und die mit Schäferstab, breiten Hüten und ihren geschäftig hin und her laufenden Hunden wie aus biblischen Zeiten entsprungen schienen. Ihr Vater als Biologe hatte in ihr zwar durchaus das Interesse für die Natur geweckt, aber Vaters Biologiestudien waren doch etwas ganz anderes als dieses ursprüngliche Leben mit den Tieren. «Der Herr ist mein Hirte» – den 23. Psalm, den sie so oft allein und mit ihren Konfirmandinnen und Konfirmanden gebetet hatte, gewann einen ursprünglichen Klang. Und nachdem sie einmal zugesehen hatte, wie die Lämmer ihrem Schäfer ganz ohne Arg und mit großen, vertrauensvollen Augen zur Schlachtung folgten, da verstand sie die biblischen Worte ganz neu: «Er war wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wurde, und tat seinen Mund nicht auf.» Mit Jens eröffnete sich ihr eine bislang unbekannte, aufregend sinnliche Welt. Susanne lernte, wie viel Mühe und Schweiß es kostet, ein Lamm aufzuziehen, einen guten Wein zu produzieren, ein Feld mit Gemüse zu bestellen. Sie merkte, wie sie Achtung gewann vor den Speisen, die sie zuvor mit Genuß, aber ohne länger nach-zudenken, zu sich genommen hatte. Sie fühlte, wie ihr Leben dadurch Tiefe gewann.
Umgekehrt interessierte Jens sich für ihren Arbeitstag, hörte aufmerksam ihren Predigten zu und äußerte offen Zustimmung und Kritik. Manchmal las sie ihm deshalb ihren Entwurf vor und korrigierte und verbesserte, wenn er etwas unverständlich fand. Wenn Susanne zum Reli-gionsunterricht in die Schule mußte, stand er tapfer auf, um mit ihr das Frühstück zu teilen, und einmal war er sogar als männliche Begleitperson zu einer Konfirman-denfreizeit mitgefahren. Susanne, die so auf ihrer Unabhängigkeit bestand, fand es plötzlich sehr angenehm, ein Gegenüber zu haben und die knappe freie Zeit mit ihm zu verbringen.
Nur für einen Urlaub hatte die Zeit bisher nicht gereicht. Deshalb war Susanne auch so glücklich gewesen, als Jens ihr die Fahrt nach Paris vorgeschlagen hatte. Nur, daß die gemeinsamen Kurzferien dann eben nicht so schön waren, wie sie es sich vorgestellt hatte.
Sicher, Jens war zärtlich gewesen, aber diese intensive Vertrautheit der ersten Monate war nicht mehr zu spüren gewesen. «Das ist wahrscheinlich normal, wenn die Schmetterlinge sich verflattern», wollte sich Susanne trösten. Aber so richtig funktionierte dieser Trost nicht. Und so hatte sie jeden Abend in den von Jens kenntnisreich ausgewählten Lokalen kräftig zugelangt und mehr Rotwein getrunken, als gut für ihren Bauchspeck war. Nach zwei großen Gläsern Bordeaux sah die Welt schon viel freundlicher aus. «Jedes Gramm Alkohol hat mehr Kalorien als ein Gramm Fett», dachte sie zerknirscht an die Mahnun-gen ihrer Freundin Tanja. Alkohol war auch kein dauerhafter Seelentröster, das war Susanne schon bewußt. Sie hatte sich einfach zu sehr über die spontane Einladung von Jens gefreut und sich so viel von der Reise versprochen.
Susanne fragte sich, ob sich durch die lange Wartezeit die Erwartungen nicht zu sehr hochgeschraubt hatten. Denn es war ja schön gewesen, nur nicht so richtig schön. Dabei hatte alles
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