Und fuehre mich nicht in Versuchung
ganz romantisch begonnen. Jens hatte ihr den Baedeker von Paris geschenkt (und offensichtlich vergessen, daß sie dort ein Jahr studiert und den Baedeker in dieser Zeit fast auswendig gelernt hatte). Aber die Idee war schon süß gewesen und sein bittender Augenaufschlag unwiderstehlich: «Komm, ich mach den Schwalbacher Hof über die Brückentage zu, die meisten Leute sind sowieso aus Mainz geflüchtet. Außerdem soll das Wetter schön werden, da sitzen die Leute lieber draußen. Wir beide können doch auch ein paar freie Tage gut gebrauchen, was meinst Du? Ich hätte Lust auf Paris, die Stadt der Liebe!»
Susanne war sprachlos gewesen, vor Überraschung und vor Freude über die unerwartete Einladung. Sie hatte das bißchen Ärger darüber, daß Jens an ihre beruflichen Ver-pflichtungen offenbar keinen Gedanken verschwendet hatte, heruntergeschluckt. Ein Wochenende mit gleich zwei Gottesdiensten, wie sollte sie da in der kurzen Zeit eine Vertretung finden? Sie hatte sich dann getraut, die Kollegin aus dem Schlesischen Viertel anzurufen, die auf den Pfarrkonferenzen immer so gestylt und überlegen wirkte und vor der viele Kollegen offensichtlich einen Heidenres-pekt hatten. Sie selbst hätte schon länger gerne ein paar Worte mit ihr gewechselt, war neugierig, worüber Pfarrerin Dr. Daubmann promoviert hatte und was sie privat und beruflich so interessierte. Sie wollte sich aber nicht auf-drängen und fand einfach keine Idee für einen Gesprächs-einstieg. «Frau Kollegin, Sie sehen gar nicht wie eine Pfarrerin aus», das klang sogar in ihren Ohren nur blöd. Jetzt hatte sie wirklich ein Anliegen. «An Himmelfahrt bin ich nicht dran, und in der Johanniskirche wollte ich schon immer mal predigen, das ist mal was anderes als mein Zelt hier in der Oberstadt», meinte Pfarrerin Dr. Daubmann.
Die Idee des Architekten der Melanchthon-Gemeinde war es, das biblische Bild von der «Kirche als Zelt» baulich dar-zustellen. Susanne fand das Ergebnis nicht wirklich über-zeugend. Frau Daubmann fuhr fort: «Und für den Sonntag Exaudi empfehle ich Ihnen Prädikant Eiselmann. Den können sie beruhigt einsetzen. Solide Predigtkost, Eiselmann ist Altsprachler, der übersetzt noch selbst aus dem Grie-chischen, geistreich, immer eine Anspielung aus der Literatur, gut konservativ eben. Würde mir wünschen, mancher Kollege würde sich die Mühe geben. Wenn Sie mir Ihre Gottesdienstordnung faxen oder mailen, die brauche ich natürlich. Sie wissen ja, typisch evangelisch und typisch Mainz – hier hat jede evangelische Gemeinde ihren eigenen Gottesdienstablauf. Aber wenn Sie mir die Version der Johannisgemeinde zukommen lassen, dann werde ich den Gottesdienst schon bewältigen.» Die Daubmann kicherte.
«Ganz herzlichen Dank», freute sich Susanne, «Sie wissen gar nicht, was für einen Riesengefallen Sie mir damit machen. Mein Freund hat mich nämlich zu einem Kurztrip nach Paris eingeladen.» «Na, das wird wohl eine kulinari-sche Reise werden», überraschte Irene Daubmann Susanne. «Sie sind doch mit dem Maistrom vom Schwalbacher Hof zusammen, oder?» «Woher wissen Sie das denn?» entgegnete Susanne verblüfft. «Meine Liebe, wenn hier jemand interessant ist im Kollegenkreis, dann interessiert man sich eben für ihn oder sie. Und Sie sind doch interessant, oder nicht?» Susanne merkte, wie sie rot wurde, und bangte einen irrationalen Augenblick lang, die Daubmann würde das durch das Telefon sehen. «Wenn Sie wieder aus Paris zurück sind, können wir ja mal einen Tee trinken», meinte Irene Daubmann. Susanne fand ihre Sprache wieder. «Das ist so nett von Ihnen, daß Sie mir die sen Gottesdienst abnehmen, wie wäre es mit einer Einladung zum Essen als kleines Dankeschön? Mein Freund kocht wirklich gut.» «Na, das nehme ich aber gerne an», klang es fröhlich durchs Telefon. «Nach der Bibel kommen bei mir gleich der Gault Millau und der Amuse Gueule .
Also, schöne Tage in Paris, und ich werde Sie an die Einladung erinnern, verehrte Kollegin. Gute Reise!»
Ja, und so war sie mit Jens in die Stadt gefahren, in der sie ein Jahr studiert hatte, mit so wenig Geld, daß sie sich nur von der wenig ansprechenden Mensakost ernähren konnte. «Gewichtsprobleme hatte ich in der Zeit noch nicht», dachte sie selbstkritisch und kniff sich vor dem Spiegel in den Bauchspeck. Im Gegenteil, sie rührte sich damals immer Zucker in den Kaffee, um nicht zu dünn zu werden, und war froh, wenn sie mal jemand zum Essen einlud und sie so richtig
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