Und fuehre mich nicht in Versuchung
Jens hatte sie sich mehr versprochen. Und ein Urlaub war schon lange überfällig. Als selbständigem Gastronom fiel es Jens aber schwer, sich wie ein Arbeitnehmer geregelten Urlaub zu nehmen.
Jens und sie hatten sich kurz nach ihrer Ankunft in Mainz kennen gelernt. Jens war Pate bei einer Taufe gewesen, und nachmittags hatte die Familie Susanne zum Kaffeetrinken eingeladen. Jens und sie waren sich schnell sympathisch gewesen. Susanne Hertz war auf ihre Art attraktiv, merkte das aber selbst nicht richtig. Überhaupt schätzte sie sich selbst immer unbedeutender ein, als sie tatsächlich war. Sie war jedes Mal erstaunt, wenn ein Mann sie ansprach und mit ihr flirten wollte. Bei Jens war alles so selbstverständlich gewesen, daß ihre üblichen Minder-wertigkeitskomplexe in Sachen Attraktivität wie wegge-blasen waren. Der große, schlanke, jungenhaft wirkende Mann hatte sie mit seinem Charme verzaubert. Er hatte so eine Art, schelmisch zu grinsen, die ihm sofort einen Weg zu Susannes Herz gebahnt hatte. In seine großen, braunen Augen, die so warm und liebevoll schauten, daß Susanne den Blick gar nicht abwenden mochte, mußte sie sich einfach verlieben. An diesem Nachmittag trug er ein schwarzes Poloshirt, das durchtrainierte Oberarme sehen ließ, und eine schwarze Jeans, in der endlos lange Beine steck-ten. Sein helles, leichtes, gutgeschnittenes Sakko hatte er locker über die Stuhllehne gelegt. Er wirkte so, als ob er sich sehr wohl in seinem Körper fühlte, er bewegte sich mit selbstverständlicher, natürlicher Eleganz. Dabei war er kein Intellektueller, eher jemand, der wußte, wo er anpacken muß und kann. Einer, den jeder Mensch gerne als Freund hätte – verläßlich und ehrlich. Außerdem faszinierte es Susanne, wie begeistert Jens von seinem Lokal Schwalba cher Hof erzählte. Er war wirklich Koch und Gastronom mit Leib und Seele. Susanne beeindruckte die Energie, mit der sich Jens auch mit den Details der Einrichtung beschäftigt hatte. Er erzählte, was für ein düsteres Loch er vorge-funden und wie er es mit indirekten Lichtquellen, die die Natursteinwände effektvoll in Szene setzten, dank leichter, geschmackvoll wirkender Tische und Stühle aus Gußeisen und hellem Holz in einen Ort verwandelt hatte, an dem man sich gerne aufhielt. Bewußt hatte Jens auf das üppige Dekor, das seine Vorgängerin ihm hinterlassen hatte, verzichtet. Bunte, schmale Läufer verdeckten nicht das schön gemaserte Holz der Tische, sondern betonten ihren Reiz.
Auch beim Blumenschmuck hatte sich Jens wohltuend zurückgehalten. Auf jedem Tisch fand sich eine einzelne Blume in einer eleganten, schmalen Vase. Der Schwalbacher Hof war Jens’ erstes Lokal. Zuvor hatte er in großen Häusern in Deutschland und in der Schweiz gearbeitet.
Wenn er von seinem eigenen Lokal sprach, dann leuchte-ten Jens Maistroms Augen. In Susanne lernte er eine Frau kennen, für die ungewöhnliche Arbeitszeiten eine Selbstverständlichkeit waren und die sich – wie er – für ein gutes Essen und ein schönes Ambiente begeistern konnte. Sie hatte auch Verständnis für seine Sorgen – der Kauf des Schwalbacher Hofs hatte Jens finanziell bis an die Grenze gefordert und in hohe Schulden gestürzt. Die Umgestal-tung des Lokals hatte darüber hinaus hohe Kosten verursacht. Seine Eltern, die eine kleine Bäckerei und Kondito-rei in Nastätten im Taunus betrieben, hatten ihn zwar nach Kräften unterstützt und für ihren Sohn die letzten Erspar-nisse geopfert, leider waren sie selbst aber vollauf damit beschäftigt, mit ihrem Betrieb das eigene Auskommen zu sichern. Immerhin hatten sie Jens die Begabung für Des serts und Patisserie, eine große Leidenschaft fürs Süße mit-gegeben. Jens erzählte Susanne, wie er schon als Kleinkind, mit einer mit Kartoffelbrei gefüllten Spritztülle bewaffnet, übte, wie man Torten dekoriert.
Bei seinen Erzählungen mußte Susanne einfach lachen.
Sie stellte sich den großgewachsenen, schlaksigen jungen Mann mit einer Kartoffelbrei-Spritztülle in der Hand vor.
Die erstaunte Taufgesellschaft wurde Zeuge, wie die oft so zurückhaltende Pfarrerin den Kopf übermütig nach hinten warf, eine Anekdote an die andere reihte, mit Erinnerungen an ihre Zeit auf Malta amüsierte und der sonst eher schweigsame Pate sich als Charmepaket entpuppte, das witzige Bonmots in die Tischrunde warf. Am Ende des Nachmittags lud Jens sie ein, doch einmal die Küche des Schwalbacher Hofs kennenzulernen. Susanne nahm die Einladung
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