Und führe uns nicht in Versuchung
gewürzt und die Sauce zu intensiv asiatisch eingefärbt. Ihr Freund ist ambitioniert, und er ist mit Leidenschaft bei der Sache, das schmeckt man. Er ist richtig gut, ohne Zweifel, und er ist ja auch noch jung und wird seinen Weg gehen. Aber seine Küche ist im Amuse Gueule bestimmt zu hoch bewertet. Ich wundere mich nicht darüber, daß Bauernberg schäumt. Denn er ist im Gegenzug mit 13 Löffeln wirklich zu schlecht weggekommen. Aber, wie gesagt: es war ein richtig schöner Abend, und ich habe gut gegessen.» Susanne schwieg eine Weile. «Ich hätte doch nichts sagen sollen», meinte Irene Daubmann ärgerlich, «aber Sie haben mich noch ermuntert …» Susanne wehrte beschwichtigend ab. «Nein, das ist es gar nicht, ich finde es gut, daß Sie mir ehrlich Ihre Meinung gesagt haben. Ich habe nur an Jens gedacht, in letzter Zeit war er so bedrückt. Jetzt weiß ich auch, warum. Ihm ist das mit den 16 Löffeln bestimmt auch aufgefallen, vielleicht hatte er einen Sternstundenabend, als die Leute vom Amuse Gueule da waren. Seit die neue Ausgabe herausgekommen ist und er sein Ergebnis gesehen hat, seitdem setzt er sich unter Druck: Ich muß so gut sein.» «Der Arme», meinte Dr. Daubmann, «da ist ja jeder Abend eine furchtbare Anstrengung für ihn. Am Ende schlägt es ins Gegenteil um. Denken Sie mal an Paulus: ‹Das Gute, das ich tun will, das tue ich nicht, und das Böse, das ich nicht tun will, das tue ich.› Wenn man verkrampft etwas will, dann kippt das leicht. Und das wäre wirklich schade bei einem so begabten Koch.» Nachdenk lich schlenderten die beiden Frauen weiter. Die Lichter der Theodor-Heuss-Brücke funkelten im Wasser, leise tutend fuhr ein Schlepper in Richtung ihrer Heimatstadt Bonn. Sonst schickte Susanne in Gedanken immer einen lieben Gruß an ihre Eltern mit, aber heute abend hatte sie dafür gar keinen Sinn. Sie war traurig. Warum hatte sich Jens ihr nicht anvertraut, ihr nicht gesagt, wie sehr ihn diese 16 Löffel belasten? Und wie sollte sie ihn darauf ansprechen, ohne ihn zu verletzen? «Wollen wir noch ein Piffche trinken?» erkundigte sich Irene Daubmann vorsichtig in ihre düsteren Gedanken hinein. «Oder möchten Sie den Abend hier am Rhein ausklingen lassen?» fragte sie. Susanne trennte sich von ihren düsteren Gedanken. Heute Abend würde sie nichts mehr ändern können. «Ein Piffche ist eine gute Idee, obwohl es auch ein ganzes Glas sein darf», meinte Susanne. «Es gibt nämlich noch eine Menge abgesehen vom Thema Essen, worüber ich mich gerne mit Ihnen unterhalten möchte.» Und so landeten die beiden in einer Weinstube an einem kleinen Holztisch und schwatzten ausgiebig über die Situation der evangelischen Kirche in Mainz, über den Dekan und den Kirchenpräsidenten, über die letzte Pfarrkonferenz («Ich wäre am liebsten schreiend weggelaufen, als die Kollegin Saalmann mit dem Vater Unser so begann: ‚Vater, Mutter, Kinder unser im Himmel’, das war so peinlich, da fiel sogar Weimann nichts mehr ein, haben Sie das gemerkt!»), über Reisen und Studienorte. Erst als das Lokal die Pforten schloß, machten sich die beiden auf den Heimweg. Susanne brachte Irene Daubmann noch zur Bushaltestelle «Am Höfchen». Wohlweislich hatte die Kollegin ihr Auto zu Hause stehen lassen. Spontan nahm Irene Susanne in den Arm. «Es hat mir Spaß gemacht, mich mit Ihnen zu unterhalten, Frau Hertz.
Was halten Sie davon, wenn wir das bald wiederholen? Ich wollte mit meinem Mann nächstes Jahr nach Malta fliegen, da können Sie mir doch bestimmt ein paar Geheimtips geben, oder? Sehen wir uns nächste Woche bei der Ausstellungseröffnung über die Geschichte der Mainzer Kirchen? Ja? Wie schön. Bis dahin, tschüß und gute Nacht.»
* * *
«Guten Tag, Herr Vogel, herzliches Beileid zum Tod Ihres Onkels. Mein Name ist Susanne Hertz, ich bin Pfarrerin in der Johannisgemeinde und werde am nächsten Montag Ihren Onkel beerdigen. Könnten wir uns bald treffen, damit Sie mir ein bißchen über Ihren Onkel erzählen – für die Beerdigungsansprache, wissen Sie? Denn ich kannte Ihren Onkel ja nicht persönlich, jedenfalls, nicht richtig.»
«Ja, natürlich, ich weiß zwar nicht, wo mir der Kopf steht, nach all der Aufregung.» Die Stimme des Neffen klang gehetzt, sie war wenig klangvoll, fast ein wenig quäkend.
«Pfarrer hätte der nicht werden können», dachte Susanne.
«Zumindest nicht ohne Sprechausbildung.» Aus dem Hörer quäkte es weiter. «Die Bild-Zeitung wollte ein Interview, sogar das
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