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Und führe uns nicht in Versuchung

Und führe uns nicht in Versuchung

Titel: Und führe uns nicht in Versuchung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vera Bleibtreu
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ein kleines Kind und wischte sich wie ein kleines Kind mit der Hand Rotz und Tränen aus dem Gesicht. Tanja merkte, wie sie ärgerlich wurde. Da saßen sie mitten in der Nacht in Wiesbaden neben diesem menschlichen Häufchen Elend, das eben fast ein Monatsgehalt verspielt hatte. Einfach so. Vogel stieß sie ab, sein Weinen fand sie widerlich, widerlich auch die Tränen und Schleimspuren auf seinem Handrücken, die im Laternenlicht glitzerten. Tanja hätte sich am liebsten übergeben. Sie bemerkte einen Impuls, in dieses weichliche Gesicht zu schlagen. Immer wieder zu schlagen. Doch sie war Profi genug, diesen Impuls wahrzunehmen und ein zuordnen, um sich anschließend innerlich einen Ruck zu geben.
    «Herr Vogel, wir haben Zeit. Wir können Sie gerne ins Präsidium mitnehmen, um Ihrer Erinnerung nachzuhelfen.» Vogel schüttelte den Kopf, sagte aber weiter nichts. «Herr Vogel», Arne ergriff das Wort, «entweder Sie antworten jetzt, oder wir fahren sofort. Ich warte nicht ewig auf dieser Bank. Wieviel haben Sie heute abend verspielt?» Vogel flüsterte irgend etwas in seine Hände. Wieder spürte Tanja diesen Impuls, Vogel zu schlagen. Seine weichliche Art hatte etwas Provozierendes. Steffen Vogel, seinem Onkel, war es sicher auch so gegangen. Ein erfolgreicher Typ wie Vogel mußte doch einen solchen Neffen als Strafe Gottes empfinden. Hatte Steffen Vogel seinen Neffen geschlagen, und hatte Christian dann zurückgeschlagen und getroffen, zu gut getroffen? War es vorstellbar, daß dieser weibische Typ eine Leiche zerteilte? Unmöglich! Und doch, Tanja dachte daran, wie Christian Vogel bis zum Äußersten angespannt am Roulettisch gesessen hatte. Wenn es ihm um etwas ging, dann wurde er offenbar zu einem anderen Menschen. Der Christian Vogel, den sie im Casino gesehen hatte, der würde diese Tat vollbracht haben können. Eine Tat, die dem menschlichen Wrack, das gerade neben ihr saß, niemand zutrauen würde. «Reden Sie lauter, verdammt noch mal», herrschte sie ihn nun an und schlug mit der flachen Hand fest auf die Lehne der Parkbank. Vogel zuckte zusammen, als ob sie ihn geschlagen hätte.
    «Er spürt, was ich am liebsten tun würde», dachte Tanja und war einen Augenblick beschämt. Ihre Aggressionen waren ihr Problem, das wußte sie, und zugleich ihr Potential, wenn sie diese emotionalen Kräfte bewußt steuern und beherrschen konnte. Tanja wußte, warum sie ihren Körper bis zum Äußersten forderte und stählte, es war ihre Art, mit der Wut, die in ihr brodelte, konstruktiv umzugehen. Wenn sie ihre Aggression gezielt einsetzen konnte, war es gut. Doch ab und zu brach es unkontrolliert aus ihr heraus, und die entsetzten Reaktionen waren dann wie eine kalte Dusche. Auch jetzt war sie zu weit gegangen, das merkte sie. Christian Vogel würde sie nie angreifen oder sich beschweren, trotzdem: sie hatte ihm gegenüber die Beherrschung verloren, und das war nicht gut. Es war ihre Aufgabe, in einem Verhör stets die Kontrolle zu bewahren. Sie spürte, wie Arne sie prüfend ansah, und nickte ihm zu. Er verstand und übernahm das Gespräch. «Herr Vogel, antworten Sie laut und vernehmlich, sonst beenden wir unser Gespräch hier und fahren nach Mainz aufs Präsidium.» Vogel sah immer noch nicht auf. «3000 Euro», flüsterte er, immer noch leise, aber vernehmlich. «3000 Euro», wiederholte Tanja entsetzt. Das war mehr, als sie gedacht hatte. Der Mann war wirklich krank. «Wie oft kommen Sie hier ins Casino?» hakte sie nach. «So oft es geht», antwortete Vogel müde. Er hatte jetzt seine Hände über dem Schoß verschränkt, sein Kopf baumelte haltlos hin und her. Tanja versuchte es noch einmal. «Herr Vogel, wußte Ihr Onkel davon?» Vogel nickte. «Herr Vogel, hat er Ihnen deshalb so viel Geld überwiesen?»
    Vogel nickte wieder. «Haben Sie ihn deshalb umgebracht?» Vogel nickte. Arne nahm Tanjas Hand und drückte sie fest. Das hier hatte keinen Sinn. Aus diesem Menschen würden sie heute nacht nichts Vernünftiges mehr herausbekommen. Sie durften ihn noch nicht einmal allein nach Hause fahren lassen. In diesem Zustand war Christian Vogel eine Gefahr für jeden Laternenmast zwischen Wiesbaden und Mainz, von beweglichen Objekten ganz zu schweigen. «Herr Vogel, wir fahren Sie jetzt nach Hause. Morgen melden Sie sich bitte umgehend nach ihrer Arbeit um 16.00 Uhr im Polizeipräsidium. Ihr Auto können Sie dann später abholen.» Vogel trottete zwischen Arne und Tanja zum Opel. Tanja fuhr, Arne setzte sich mit Vogel

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