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Und führe uns nicht in Versuchung

Und führe uns nicht in Versuchung

Titel: Und führe uns nicht in Versuchung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vera Bleibtreu
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das so weiterging, mußte sie entweder den Kampf gegen ihre Pfunde aufgeben und ihren Kleiderschrank auf Größe 46 umstellen oder eine Krankheit erfinden, die den Genuß von Sahnetorten kategorisch unterband. Bauchspeicheldrüsenentzündung oder Gallensteine? Susanne grübelte, Frau Darscheid schaute sie beunruhigt an. «Schmeckt’s nicht, Frau Pfarrer?» «Doch, prima», meinte Susanne tapfer. Sie hobelte kleine Scheiben von der wirklich köstlichen Sahnetorte ab. Eine Bauchspeicheldrüsenentzündung war auch nicht das Wahre. Gab es eine Krankheit, die einem ein Stück Torte und nicht mehr erlaubte? Diabetes? Lieber nicht, da kannten sich die Jubilare besser aus als sie. Und – durfte man mit Diabetes Himbeersahnetorten essen? Susanne ließ langsam die Himbeeren mit der Sahne in ihrem Mund zergehen. Es gab auch Wichtigeres im Leben als einen Waschbrettbauch. Obwohl sie zog den Bauch ein. Sie hatte das Gefühl, als ob sie mit jedem Bissen ein Kilo zunahm und die Jeans zum Zerreißen spannte. Im Grunde müßte einem die Kirche einen Fastenkurs oder die Mitgliedschaft bei den Weight-Watchers bezahlen – Berufskrankheit Übergewicht, sozusagen.
    Es gehörte schon einiges an Willenskraft dazu, einem resoluten 80jährigen Geburtstagskind wie Frau Darscheid zu widerstehen, wenn die es sich in ihren Kopf gesetzt hatte, einen repräsentativen Querschnitt der häuslichen Backkunst im Magen der örtlichen Kirchenvertreterin versinken zu lassen. «Absolut lecker, Ihre Himbeersahne, Frau Darscheid», sagte Susanne entschieden. «Aber das ist wirklich das letzte Stück. Sonst schimpft mein Freund mit mir, wegen der Speckröllchen.» Die Damen kicherten verständnisinnig. Susanne war ganz froh darüber, daß das 21. Jahrhundert auch in Mainz Einzug gehalten hatte. Inzwischen fanden es auch 80jährige ganz normal, daß eine Pfarrerin einen Freund hatte. Noch vor wenigen Jahren wäre das ganz undenkbar gewesen. Heute wußten alle Damen, die beim Jubeltag von Emilie Darscheid um den runden Eßtisch saßen, daß sie einen Freund hatte, und fanden das auch ganz in Ordnung. Ja, manche munkelten sogar von einer bevorstehenden Trauung, bei der ihre Pfarrerin an der Hand ihres Gatten feierlich in die St. Johanniskirche einmarschieren würde – im weißen Kleid? Darüber gingen die Meinungen auseinander. Andere hingegen glaubten, daß Susanne nie heiraten würde: «Sie ist eben zu zurückhaltend, sie traut sich nicht, ihn endlich festzunageln, so wird das nie was.» Wieder andere gaben zu bedenken, daß Susanne Hertz doch gerade erst in Mainz angekommen sei und ihren Freund auch noch nicht so lange kenne. Von diesen tiefgründigen Einschätzungen ihrer Person ahnte Susanne nichts, als sie erfolgreich ein viertes Kuchenstück von Frau Darscheid ablehnte. Die Verteidigung Wiens gegen die Türken dürfte nicht schwieriger gewesen sein. Dem großen Kuchenteller, den Frau Darscheid zum Abschied für sie zusammenstellte, dem entging sie allerdings nicht. Und nirgendwo war ein Prinz Eugen, der sie vor der süßen Invasion hätte retten können.

    * * *

    Christian Vogel klopfte zaghaft an die Bürotür. Er schien seit dem gestrigen Abend noch gealtert zu sein. Sein Sakko sah aus, als ob er darin geschlafen hätte, sein Haar war zerzaust, die Haut wirkte aufgedunsen und großporig. Vogel ließ sich zögernd auf der äußersten Kante eines Stuhls nieder. Er schlug die Beine übereinander und verschränkte die Hände vor seinen Knien, so, als ob er einen kleinen Schutzraum um sich bilden wollte. Ängstlich blickte er von Tanja zu Arne und wieder zurück. Tanja spürte, wie die Welle der Aggression wieder in ihr hochschwappte. Sie holte tief Luft und nahm Christian gegenüber Platz. Arne sah sie scharf an, Tanja nickte ihm zu und lächelte beruhigend – «Keine Sorge, ich habe alles im Griff» –, dann holte sich Arne ebenfalls einen Stuhl. Tanja machte die Atemübungen, die ihr in angespannten Situationen Ruhe vermitteln sollten. Bewußt sog sie Luft durch die Nase ein und ließ sie ruhig aus dem Mund ausströmen. Christian Vogel sollte warten, es war wichtig, daß sie innerlich und äußerlich gefaßt war. Arne, der Gute, merkte, wie es um sie stand, und ließ ihr Zeit. Unmerklich drückte er sein Bein gegen ihres – das verabredete Zeichen dafür, daß Tanja beginnen sollte, wann sie es für richtig hielt. Als sie spürte, daß sich ihr Puls normalisiert hatte, war im Gegenzug die Nervosität Vogels deutlich angestiegen. Er starrte sie an

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