Und führe uns nicht in Versuchung
Tanja. «Ob es eine Nutte war?» Arne schüttelte den Kopf.
«Ein Typ wie Steffen Vogel läßt es sich nicht von einer Nutte besorgen. Zumindest nicht von einer 08/15 Dame vom Hauptbahnhof. Aber eine offizielle Beziehung war es auch nicht, sonst hätte ja sein Neffe oder irgendwer von Mainz-Glas davon gewußt. Wir müssen seinen Terminkalender und die Notizen vom Schreibtisch noch einmal genau durchsehen. Irgendwo muß sich einfach ein Hinweis finden.»
Tanja und Arne begannen mit der mühsamen Befragung von Haus zu Haus. Alle Nachbarn waren schon einmal befragt worden, das machte die Sache nicht einfacher. Die Leute hier mochten es nicht, wenn sie in ihrer Privatsphäre gestört wurden, da war eine Befragung für ihren Geschmack schon mehr als genug. Viele Türen blieben verschlossen, die Bewohner waren nicht zu Hause oder hatten keine Lust, die Tore zu öffnen. Arne und Tanja klingelten dennoch unverdrossen an jeder Tür – wenn sie denn überhaupt an die Türen herankamen, was selten der Fall war. Zumeist konnten sie die Villen kaum hinter den hohen Zäunen aus Metall oder dicht gewachsenen Buchsbaumhecken erkennen. Rote Alarmlampen ragten an fast jedem Tor in den Himmel und kündeten vom Bemühen der Bewohner, sich gegen ungebetene Besucher zu wehren – oft mit wenig Erfolg, wie Tanja und Arne von den Kollegen des Einbruchsdezernats erfahren hatten.
Zwei Stunden später saßen Arne und Tanja erschöpft im Wagen. Keiner der Nachbarn hatte etwas bemerkt, niemand hatte eine Frau beobachtet, die alleine oder gemeinsam mit Vogel das Anwesen betreten hatte. Die meisten wußten noch nicht einmal, wie die Putzhilfe Vogels ausgesehen hatte, deren Foto die beiden Kriminalbeamten bei sich führten, um Verwechslungen zu vermeiden. Eine ältere Frau meinte, einmal eine blonde Dame gesehen zu haben. Sie konnte jedoch weder deren Alter einschätzen noch die Figur oder die Kleidung beschreiben. «Sie war blond, glaube ich jedenfalls, ich habe natürlich nicht so genau hingesehen, das geht mich ja nichts an, wer zu Herrn Vogel will.» Arne und Tanja nickten ergeben. Wie löblich, daß die Friedrichstraße diese schöne nachbarschaftliche Diskretion pflegte. Ein paar neugierige, scharf beobachtende Damen und Herren, die von morgens bis abends hinter der Gardine lauerten, das wäre den beiden heute wirklich lieber gewesen. Tanja seufzte: «Immerhin, wir wissen, was wir bis heute nachmittag zu tun haben. Wir gehen jetzt gemeinsam den Terminkalender von Vogel und alle Unterlagen durch. Irgend etwas müssen wir übersehen haben. Irgendwo muß ein Hinweis auf Vogels Geliebte sein.» Arne brummte zustimmend und startete den Wagen.
Zurück im Polizeipräsidium leerte Arne die Kiste mit den Unterlagen, die sie auf dem Schreibtisch Steffen Vogels gefunden hatten. Sorgfältig sichteten sie Papier für Papier und sortierten die Blätter. Alles, was klar zuzuordnen war, kam auf einen Stapel. Zweifelhafte Mitteilungen auf einen anderen. Mit Eifer gingen die beiden ans Werk. Sie wußten, daß sich irgendwo in diesen Unterlagen ein Hinweis finden mußte. Heute verzichteten sie auf ein Mittagessen in der Kantine, Tanja besorgte Sandwiches und Kaffee. Um 16 Uhr unterbrachen sie die Arbeit, um sich auf Christian Vogel vorzubereiten. Arne räumte die sortierten Stapel und die Unterlagen, die sie noch nicht ausgewertet hatten, in verschiedene Kisten und beschriftete sie entsprechend. Immerhin, sie waren weiter gekommen, hatten viele Zettel aussortieren können. In der Kiste mit den unklaren Mitteilungen mußte sich ein Anhaltspunkt finden.
* * *
«Jetzt nehmen Sie sich doch noch ein Stück Torte, Frau Pfarrer. Sie können sich das doch erlauben.» Einladend wies die Jubilarin Frau Darscheid auf eine dreistöckige Himbeersahnetorte, die in der Mitte ihres reichhaltigen Kuchenbuffets thronte. Susanne lächelte freundlich, wäh rend sie das Gefühl hatte, der Metallknopf ihrer Jeans würde entweder im nächsten Moment ein Loch in ihren Bauchspeck bohren oder mit einem Knall abspringen und Frau Darscheids Kuchenbuffet ruinieren. Susanne stellte sich vor, wie der Knopf zwei Buttercremetorten durchschlug, bevor er in der Himbeersahne steckenbleiben würde. «Danke, ich glaube, das schaffe ich wirklich nicht mehr. Ich habe ja schon zwei Stücke Kuchen gegessen, obwohl Ihr Kuchen wirklich sehr, sehr lecker ist.» «Eben», meinte Frau Darscheid kategorisch und wuchtete Susanne ein Stück Himbeersahne auf den Teller. Susanne stöhnte innerlich. Wenn
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