Und führe uns nicht in Versuchung
Schuh?» unterbrach Jacobi verblüfft. «Ja, mit einem Schuh. Susanne hat einen Schuhtick, das hat ihr wahrscheinlich das Leben gerettet. Der besagte Schuh war eine Sandale mit einem 5-Zentimeter-Metallabsatz. Ganz schön schwer, ich habe sie selbst in der Hand gehalten. Damit kann man schon gut zuschlagen, und das hat Susanne auch getan, mit der Kraft der Verzweiflung.» Jacobi schwieg einen Moment. «Wie geht es Ihrer Freundin?» Tanja lachte. «Sie hat alles gut überstanden. Glücklicherweise hatte sie sich mit ihrem Professor verabredet, und der hörte hinter der Tür ihr Stöhnen und rief die Polizei. Sie war ohnmächtig, und es hätte übel ausgehen können, wenn dieser Theologe sie nicht entdeckt hätte. Jetzt liegt sie im Krankenhaus und sorgt sich am meisten um ihren Freund – äh, Ex-Freund. Pfarrer sind schon ein komisches Völkchen.» Jacobi schmunzelte hörbar.
«Sie behalten sie noch zur Beobachtung da, aber morgen oder übermorgen soll sie entlassen werden.» Tanja schwieg. Ihr fiel nichts mehr ein, die Worte schienen sich in sie zurückzuziehen. «Und Sie», fragte Jacobi, und seine Stimme klang plötzlich ganz warm und voll, «wie geht es Ihnen?» Tanja schluckte. Was sollte sie antworten? «Mir geht es prima, einmal abgesehen davon, daß ich jede Nacht mein Kissen vor Sehnsucht nach Ihnen naß weine und meinem Kollegen mit meinen für ihn unerklärlichen Stimmungsschwankungen auf den Geist gehe. Oder: Bitte kommen Sie doch möglichst schnell vorbei und schlafen Sie mit mir. Oder: Könnten Sie sich vorstellen, Ihr Leben mit einer 30 Jahre jüngeren, ungebildeten Polizistin zu verbringen, die von der Welt bisher nur Mainz und die Eifel gesehen hat? Oder: Können Sie bei Ihrer nächsten Reise nach Südafrika zwei Tickets buchen, haha?» «Wie geht es Ihnen?» fragte Jacobi noch einmal. «Ach, gut», antwortete Tanja lahm. «Ich fliege nächste Woche nach Rumänien, ich bin da für ein Jahr im Auslandseinsatz.» «Das ist ja hochinteressant. Rumänien kenne ich gut, da haben Sie eine anspruchsvolle Aufgabe.» «Na wunderbar, er kennt Rumänien gut, was kennt der Mann eigentlich nicht?» dachte Tanja. «Ja, es wird bestimmt ganz interessant», sagte sie statt dessen laut, und der Satz klang selbst in ihren Ohren furchtbar banal. Wieso konnte sie jetzt nicht sprühend und lebendig erzählen und diesen Menschen mit ihrer Persönlichkeit faszinieren? Sie holperte durch dieses Gespräch wie ein Traktor über den Rübenacker. «Tja, dann wünsche ich Ihnen einen guten Flug und eine erfolgreiche Zeit», sagte Jacobi. «Und danke, daß Sie mich angerufen haben.» Es knackte in der Leitung, er hatte aufgelegt. Tanja warf sich auf ihr Bett und weinte und schluchzte so hemmungslos, daß sie nicht einmal hörte, daß Arne an ihrer Wohnungstür klingelte. Aber sie hätte ihm auch dann nicht aufgemacht, wenn sie es gehört hätte.
* * *
Der Frankfurter Flughafen war so ungemütlich wie immer. Susanne und Arne standen neben Tanja in der Schlange vor dem Check-In. Keinem fiel irgend etwas Intelligentes ein, so schwiegen sie, bis Tanja ihre Koffer auf das Förderband gewuchtet und ihre Bordkarte entgegengenommen hatte.
«Tja, dann geh ich wohl mal durch die Kontrolle», meinte sie. «Ich werde euch zwei in Bukarest ganz schön vermissen.» Arne scharrte verlegen mit den Füßen. «Schreib mal ’ne Karte. Meine Telefonnummer hast du ja auch. Und wenn du da bist, kannst du uns ja deine Kommunikationsdaten mailen. Wenn Frau Koordinationschefin dafür Zeit haben.» Tanja boxte Arne liebevoll auf den Arm. Der verzog das Gesicht. «Oh, Mist, schon wieder die alte Stelle. Wird nicht wieder vorkommen, versprochen! Also, ich maile euch gleich, wenn ich angekommen bin. Das ist das erste, was ich mache. Ohne euch wird das sowieso öde.» Arne zog eine Postkarte aus der Tasche. «Apropos ‹melden›. Das hatte ich fast vergessen. Rat mal, wer diese Karte geschrieben hat!» Tanja schaute ratlos. «Keine Ahnung!» Arne grinste. «Johannes Friedrich. Seine Mutter hat die Karte heute im Präsidium vorbeigebracht. Die Karte kommt aus Myanmar. Früher Burma. Friedrich hat sich dort in einem buddhistischen Kloster einquartiert und verbringt die Tage auf der Suche nach sich selbst. Morgens läuft er mit der Bettelschale durch die Gegend und freut sich über den Reis, den ihm mitleidige Seelen in die Schüssel legen. Da wird eine Kreditkarte natürlich nicht gebraucht. Die Postkarte hat er irgendwem mit der Bitte gegeben, sie zu
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