... und ich höre doch!: Ein technologisches Abenteuer zwischen Silicon Valley und den Alpen (German Edition)
all jene Haare zu entfernen, an die er nicht schon mit Rasierklinge und Schere herangekommen war. Ich habe überlebt.
Was mich in Österreich außerdem sehr überraschte, ist das besondere Verhältnis der Österreicher zur Nacktheit. In Amerika, wo ich aufwuchs, ist es verpönt, die eigenen Schambereiche zur Schau zu stellen. Mittlerweile weiß ich, dass es in Österreich andersrum ist. Als meine Frau und ich ins Schwimmbad gingen, bemerkten wir mit Entsetzen, dass man hier einfach Badehosen wechselt, ohne auf Sichtschutz zu achten. Die Freizügigkeit nimmt scheinbar auch zu, je älter und unansehnlicher man wird. Den Leuten hier macht es offensichtlich nichts aus. Wenn ich mit meiner Frau zum Arzt gehe, ist es auch völlig normal, dass man sich im Behandlungszimmer freimacht bevor die Türe zum Warteraum wieder geschlossen wird. Als mir das zum ersten Mal passierte, war ich schockiert. Aber man gewöhnt sich an alles!
Eines Tages, als wir noch in der Bauphase waren, stellten wir ein provisorisches Versuchslabor in der Umkleidekabine unseres Reinraums auf. Ich staunte nicht schlecht, als einige attraktive weibliche Kolleginnen in den Reinraum kamen, sich auszogen und vor mir ihre Straßenkleidung anzogen. Es blieb dabei nur wenig meiner Vorstellungskraft überlassen. Donnerwetter, das hätte in den USA sofort zu Prozessen geführt!
Aber Österreich ist nicht Amerika. Die Sauna erfreut sich hier großer Beliebtheit. Badeanzüge zu tragen ist darin streng verboten, und die Handtücher sind nur zum Draufsitzen gedacht. Ich war vorher noch nie in einer Sauna, woher sollte ich das alles also wissen? Als ich etwa eines Abend nach Hause fuhr, sah ich von der Straße aus durch die hell beleuchteten Fenster des Sportzentrums lauter nackte Saunagäste herumliegen. Die haben nicht einmal die Rollläden runtergemacht!
In Österreich ist es auch üblich, dass im Herrenklo eine Putzfrau werkt, während sich die Männer daneben erleichtern. Das wäre in den USA unerhört. Auch ich habe mittlerweile gelernt, mich in der Anwesenheit von wildfremden Frauen entsprechend zu entspannen.
Mittlerweile bin ich zu der Auffassung gekommen, dass der österreichische Zugang zu diesen Dingen zwar anders als der amerikanische ist, aber irgendwie auch natürlicher. Körper sehen nun mal so aus, ob nackt oder bekleidet, und Nacktheit, ob man es glaubt oder nicht, hat nicht immer etwas mit Sex zu tun. Es ist nur eine andere und durchaus gewöhnungsbedürftige Art, die Dinge zu sehen.
In Innsbruck gibt es eine kleine Auswanderergemeinschaft.
Eines Tages hörte ich jemanden auf der Straße auf Englisch sagen: „Tja, immerhin kann ich jetzt genug Deutsch, um im Tante-Emma-Laden nicht mehr rot anzulaufen, wenn ich bestelle.“
Das traf mich. Meine Deutschkenntnisse sind sehr bescheiden, und wenn mir jemand begegnet, der kein Englisch kann, weiß ich mir meist nur noch mit wildem Gestikulieren zu helfen. Kurzum, auch nach vielen Jahren in Innsbruck ist mein Deutsch einfach nicht gut genug. Ich würde ja gerne mehr lernen, es ist mir nur schrecklich peinlich, die deutsche Sprache vor den Einheimischen derart zu verunstalten! Die meisten schalten sofort auf Englisch um, sobald sie mich hören, was es nicht einfacher macht, ihre Sprache zu lernen.
Eine weitere Besonderheit dieses alpinen Umfelds ist, dass hier jeder Extremsportler ist. Meine Ski werden von einem ehemaligen Champion des Race Across America gewartet, und da in einem Umkreis von 30 Minuten ebenso viele Skigebiete liegen, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass man bei der Arbeit neben einem Weltklasse-Skifahrer sitzt. Ich würde grob schätzen, dass bei MED - EL etwa zehn der weltbesten Alpinisten arbeiten. Es sind auch außerordentliche Snowboarder, Marathonläufer, BMX -Fahrer und Mountainbiker dabei. Eine Kollegin hat sogar einen Mountainbike-Tirolführer geschrieben. Es ist wirklich phänomenal. Wenn man hier in die Berge eingeladen wird, muss man wissen, worauf man sich einlässt.
Was mir am meisten fehlt, seit ich hier lebe? Nun ja, zuallererst die Round-Table-Pizza. In Sunnyvale hat Sabina mir sogar einmal ein Hemd mit der Aufschrift „Body by Round Table“ geschenkt. Meine Vorliebe für diese Pizza trug einiges zu meinem Körperumfang bei. Mir fehlt auch das gute mexikanische Essen. Ehrlicherweise muss ich aber zugeben, dass meine Essensgewohnheiten meiner Figur auf Dauer nachhaltig geschadet hätten. In Axams, dem Dorf in dem wir leben, ist das meiste Essen frisch und
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