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Und im Zweifel fuer dich selbst

Und im Zweifel fuer dich selbst

Titel: Und im Zweifel fuer dich selbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Rank
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war im Stillen verboten worden. Die Angst vor einer falschen Bewegung, einem falschen Wort, einer offensichtlichen Erinnerung überlagerte alles. Wir waren seit einem Tag unterwegs und klammerten uns an die Dinge, die auf dem Papier standen. Ich fuhr und blickte geradeaus, Lene kommentierte, was links und rechts vorbei flog, beklagte sich überdie blauen Ziegel auf manchen Dächern. Und ich war froh, wenn sie sprach, und gab Geräusche von mir, um zu zeigen, dass ich zuhörte, riskierte hin und wieder einen Blick, schüttelte mal den Kopf, winkte ab. »Kühe! Sieben, neun, fünfzehn! Ein Kalb!« Und dennoch blieben meine Finger fest auf dem Lenkrad liegen, die Knie parallel, die Oberschenkel in den Sitz gedrückt. Ich gab mir Mühe. Mir stand der Schweiß auf der Stirn, ich hätte eine Landkarte meiner Poren zeichnen können, hätte ich einen Stift dabei und eine Hand frei gehabt. »Dass man hier wohnen kann …« Wir fuhren langsam. Jedes Mal, wenn sich von hinten ein Auto näherte, rechnete ich mit wütenden Gesten oder Lichthupe, weil wir nur krochen. Lenes Wangen röteten sich ein wenig, sie hatte die Füße auf dem Armaturenbrett abgestellt. In regelmäßigen Abständen wurden wir überholt und nichts passierte. Es störte niemanden, wir juckelten vor uns hin, wir provozierten keinen Stau, hielten niemanden auf. Nur ein Traktor war langsamer als wir, ich musste beschleunigen, um ihn zu überholen, und Lene setzte sich auf, hielt den Atem an, bis wir wieder langsamer wurden. Als wir eine Zeit lang immer im gleichen Abstand zu ihm fuhren, drehte sich Lene zum ersten Mal nach hinten um. Sie schnallte sich ab und kletterte auf die Rückbank. Normalerweise hätte ich sie ermahnt. Jetzt sagte ich nichts, beobachtete sie aber im Rückspiegel. Sie band sich einen Zopf, setzte sich auf ihre Knie, den Rücken zu mir. Ihre Wirbelsäule bildete die Verlängerung ihrer Haare, das Kleid war weit ausgeschnitten, das wäre ein gutes Foto geworden, hätte jemand auf unserer Motorhaube gesessen. Um uns herum hätten Scheinwerfergestanden und ein Mann, der nur dafür zuständig wäre, sie richtig einzustellen, dazu ein Photograph, der uns Anweisungen gegeben und seine Linse ganz dicht an die Frontscheibe gehalten hätte, damit sich nichts spiegelt. Wie versteinert hätten wir da gesessen und versucht, den Anweisungen zu folgen, und er hätte Hunderte Fotos gemacht und wieder Hunderte davon gleich am Rechner aussortiert, vielleicht hätte er noch einen Filter drüber gelegt, die Farbsättigung ein bisschen runter gedreht, ein paar Kontraste hier und da, Flecken raus, Bewegungsunschärfe hier, verwischte Ränder. Aber Lenes Kleid wäre immer noch rot gewesen, und man hätte immer noch ihre Wirbel erkennen können und sie weiter erahnen dort, wo das Kleid war. Ihre Zehenspitzen hätte man gesehen, von der Hornhaut dank Störungsfilter kein bisschen, Strukturen wären nicht zu erkennen gewesen, nur die Erhebungen. Wir hätten Haut aus Elfenbein gehabt, die Sonne wäre eine Glühbirne gewesen und wir wären danach ausgestiegen und hätten irgendwo eine Suppe gegessen. Am Ende hätten wir uns anschauen und einrahmen und anderen zeigen können und jemand hätte gefragt: »Das seid ihr?« Das waren wir.
4
    Man rechnet ja nicht damit. Wir glaubten an ein Morgen, wir fuhren in den Urlaub, und wir sagten: bis bald. Wir blieben tagelang im Bett liegen, vor allem, wenn wir frisch verliebt waren, das geschah ein paar Mal, als wir noch zur Schule gingen. Mit einem Abschluss rechneten wir und mit einem Danach. Wenn man uns nach Heirat und Kindern fragte, schüttelten wir den Kopf, aber immer nur auf Zeit, denn wir wussten, irgendwann kommt der Moment, in dem wir nicht mehr so vehement den Kopf schütteln, sondern eher langsam. Später zuckten wir nur noch mit den Schultern, antworteten nicht mehr. Ein Ja hoben wir uns auf, verrieten es niemandem, aber hatten es fest in der Hand, weil man das so machte. Und in diesem Frühling hatte Friedrich mich nach Kindern gefragt, und ich wusste, dass es nun soweit war. Dass ich es aussprechen sollte.
    Wir saßen beim Frühstück, draußen regnete es in Strömen, wir aßen Eier mit Plastiklöffeln und Senf. Die Stimmung war gut, wir hatten noch am Morgen miteinander geschlafen, ich saß nur in Unterhose und Unterhemd an Friedrichs kleinem Küchentisch, der direkt neben dem Schreibtisch stand. Ich hätte die beiden gerne fusioniert, aber er war immer der Meinung, das gehöre sich nicht, das müsse man trennen.

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