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Und im Zweifel fuer dich selbst

Und im Zweifel fuer dich selbst

Titel: Und im Zweifel fuer dich selbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Rank
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ich. Das gehört ja dazu. Und es ist immer aufregend, wenn wir uns treffen. Aber genau deswegen müssen fremde Leute um uns herum sein. Damit ich nicht damit beginne, Sachen zu tun, die mich oder irgendjemanden verwirren könnten, damit wir hier in Ruhe sitzen können und gucken, während die anderen sich besaufen und schreien, ich finde das eigentlich gut. Also auch, dass man uns beobachtet und wir nicht irgendwo allein sind.« Einundzwanzig Wimpel hatte ich gezählt bis zu diesem Moment, oder zweiundzwanzig, an der Ecke der Markise waren zwei zusammengenäht. Ich fand es schön, was er gerade gesagt hatte, aber wünschte mir im gleichen Moment, ich hätte es nicht gehört. Denn ich wollte immer noch mit ihm Fußball schauen und hielt die Lösung, die er hier vorgeschlagen hatte, irgendwie für eine schlechte. Dennoch konnte man jetzt besser durch die Scheibe sehen, geradeaus fahren, so sollte das ja sein. Und ich dachte noch, dieser Sommer ist der wärmste seit langem.Ich kurbelte das Fenster auf meiner Seite herunter, mir lief der Schweiß in Strömen. Nein, man rechnete nicht damit. Und Vince hatte Recht gehabt. Man musste versuchen, sich nicht zu verlieren. Das hier aber war wie dichter Nebel, der sich über die Felder legt und alles verschluckt. Langsam und behutsam und dabei nichts vergisst. Das hier waren keine einstürzenden Dächer, kein lautes Krachen. Kein Erdbeben. Es war ununterbrochen da, aber es war so bedrückend leise, dass es uns die Sprache verschlug und das klare Denken. In meinem Kopf schwirrte es, ich dachte an Filme, die ich gesehen, und an Bücher, die ich gelesen hatte. Meistens waren die Katastrophen dort auch Katastrophen durch und durch. Leute drehten ab, rasteten aus, es wurde gewütet, getobt, an Wände geschlagen und völlig aus der Reihe getanzt. Man kündigte, schrie sich am Telefon an, legte sich für drei Wochen ins Bett und zog die Decke über den Kopf. Aber wir fuhren orientierungslos in der Gegend herum, unberechenbar und völlig unsouverän. Und mir fiel ein, wie Lene mich angerufen hatte früh am Morgen, mich aus dem Bett klingelte und zu sich bestellte, um mir zu sagen, dass sie verliebt sei. Wie sicher sie sich gewesen war, wie ruhig.

    Friedrichshain war gelb damals. Die Wiesen waren gelb, die Bürgersteige waren gelb und die Bordsteinkanten auch. Die Gullis waren mit gelben Blättern verstopft, hin und wieder verirrte sich ein orangefarbenes dazwischen, die Hügel und Straßen lagen da wie abgerupfte Tapete. In Fetzen, und dazwischen tauchten immer wieder Reste des Asphalts auf, dieGehwegplatten mit den Löchern darin. Abertausende kleine Regentropfen hingen in der Luft, verstopften die Wege und sammelten sich in jeder Pore der Stadt und den zufällig hinein gestreuten Menschen. Häuserwände hatten das gleiche Grau wie der Himmel, und neben den Straßen bauten sich endlose Mauern, man wusste nicht mehr, wo oben aufhört und unten beginnt. Man reagierte mit meterlangen Schals und hohen Kragen, mit Gummisohlen und neuartigen Teesorten, die man jetzt nach Gefühlen und Stimmungen benannte.
    An dem Tag hatte ich das Gefühl, die Gänsehaut erstrecke sich bis auf meine Fingernägel. Es war halb sieben, ich fuhr mit dem Rad die Frankfurter Allee entlang zum Park, der da lag in diesem ausgeblichenen Gelb, das sich anstrengen musste, um noch den Anschein eines zumindest golden schimmernden Herbstes zu erwecken oder Erinnerungen daran. An der Weberwiese wechselte eine Frau vor mir vom Bürgersteig auf die Fahrbahn, auf ihrem Gepäckträger eine Packung Toilettenpapier, deren Umschlagfolie sich nach ein paar Metern auf dem Kopfsteinpflaster löste. Ich fragte mich, woher sie das hatte um die Zeit und wohin sie wohl fuhr. Sie schien es sehr eilig zu haben, alle paar Meter fiel eine Rolle des Papiers auf die Straße und rollte sich in weißgrauen Streifen auf, unter parkende Autos, über Laub und Müll. Sie schien es nicht zu bemerken, und ich war nicht schnell genug, um sie einzuholen, obwohl ich mich ins Zeug legte, schon allein, um wärmer zu werden. Ich rief ihr nicht hinterher. Der Nieselregen lag wie ein Cremefilm auf meinem Gesicht, den Händen, im Nacken. Ich konntemeinen Atem sehen, der sich in kleinen Wolken in den Restnebel mischte. Dass es dringend sein müsse, mich hinaus zu scheuchen. Dass es einen wirklich triftigen Grund geben müsse, dass ich andernfalls empört und wütend sein würde, dass ich mich sofort umdrehen und gehen würde, wenn es nicht wirklich eine

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