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Und immer wieder Liebe Roman

Titel: Und immer wieder Liebe Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paola Calvetti
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eines eigenwilligen Architekten, sondern ein bröckelndes Schmuckstück, ein Bug, der mit seinen kleinen Fenstern aufs Meer hinausschaut. An der Fassade, die auf einen unbekümmert wuchernden Teppich von Heidekraut hinabblickt, stehen drei große Buchstaben. MTH.
    »Marine Travaux Hydrographiques«, mutmaßt er.
    »Es scheint verlassen zu sein«, sage ich, etwas beunruhigt über die Anzeichen eines Gewitters, das am Himmel aufzieht. Federico hört mich gar nicht, weil er über die architektonische Offenbarung vollkommen aus dem Häuschen ist.
    »Das ist ein Semaphor, ein optischer Telegraph«, erklärt er. »Die Insel hatte mal vier davon, auf der Pointe d’Er Hastelic, der Pointe de Taillefer, der Pointe du Talus und der Pointe d’Arzic. Der von d’Er Hastelic ist verfallen, und die anderen beiden haben nach ihrem Umbau jegliche Faszinationskraft eingebüßt. Im neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert hat man mit ihnen den Wasserverkehr überwacht. Die Semaphoren haben Signale ausgesendet, um die Seeleute über Wetteränderungen zu informieren. Der Wächter wiederum erhielt Signale von Schiffen, die in Schwierigkeiten
geraten waren. Der Ehrlichkeit halber muss man aber hinzufügen, dass es sich dabei nur um Kriegsschiffe und Schiffe ab einer gewissen Größe handelte. Die Fischer von Belle-Île kannten die Signale gar nicht. Ihre schweren Boote waren robust genug, um dem Ansturm der Wellen standzuhalten, aber sie waren zu plump, als dass man sie manövrieren konnte.«
    »Haben sie Schiffbruch erlitten?«
    »Viele Fischer konnten nicht schwimmen. Wer ins Wasser fiel, hatte keine große Chance zu überleben.«
    Der Himmel ist jetzt blau und so gleißend hell, dass die Augen schmerzen. Wir befinden uns am äußersten Ende einer Landzunge, auf der Grenze zwischen Wasser und Land. Der »Ocean Man« hat miserable Mauern gebaut, um der Furie »Meer« etwas entgegenzusetzen. Das Haus, oder vielmehr der Semaphor, ist halb verfallen und vor Blicken nicht durch einen Zaun geschützt. Um durch die dreckigen Scheiben schauen zu können, gehen wir am Rand des Abgrunds entlang. Die Fenster haben keine Flügel, und eine Reihe von Kanoneneinschusslöchern zeugen von verschiedenen Anlandungsversuchen. Wir stehen vor einem stolzen, unbewohnten Haus. Vor einem Schiffsbug mit nach innen gekehrter Brust. Schüchtern treten wir ein. Im Erdgeschoss sind noch Teile des Dielenfußbodens vorhanden. Dort, wo kein Holz mehr ist, sieht man festgetretene Erde. Auch die Fenster sind kaputt, und die wenigen, die heil geblieben sind, werden von einer Mischung aus Staub und Salz bedeckt. Der Kamin jedoch ist unversehrt.
    Wenn man einmal von der Renovierung meiner Buchhandlung absieht, habe ich mich nie für Restaurationsarbeiten erwärmen können; außerdem wirkt der Abgrund, an dem dieses Haus gebaut ist, nicht sehr vertrauenerweckend auf mich.
    »Das erinnert an Sturmhöhe«, sage ich.
    Federico sieht mich schräg von der Seite an. Wenn es um Häuser
geht, steigert er sich so in die Sache hinein wie ich mich in meine Bücher.
    »Ich glaube tatsächlich, dass das hier leersteht, Emma. Worum geht es denn in Sturmhöhe?«, fragt er, nimmt mich in den Arm und heuchelt Interesse an meinen Liebesromanen.
     
    Das Meer atmet ein und aus, regelmäßig wie ein Metronom. Der Sand wird immer dunkler und das Blau des Wassers noch intensiver; es oszilliert zwischen türkisblau und rosa, mit einer Tendenz zu orange. Bei dem Gedanken, dass wir in wenigen Stunden schon im Flugzeug sitzen, werde ich farbenblind. Nervös. Belle-Île-Quiberon, Quiberon-Auray-Paris. Man kann die Liebe auch anhand von Zugfahrplänen erzählen. Im Zug werden wir zusammensitzen und zwischen uns die Angst vor dem Neuanfang. Ich hasse Mailand, ich fliege von Orly. Nicht einmal denselben Flughafen gönnt man uns.
    Der Abschied hat begonnen.
    Federico schläft. Ich versuche, hinter seinen langen dunklen Wimpern seine Träume zu entdecken, und ignoriere den Abgrund, der sich vor meinen Gedanken auftut. »Man muss immer Sorge tragen, dass einem die gefährlichen Dinge nicht einfach so passieren«, schreibt Duras. Eigentlich sprach sie in diesem Zusammenhang vom Alkohol und nicht von der Liebe. Doch wer weiß? Vielleicht sprach sie ja auch von beidem. Die linke Bettseite ist ordentlich gemacht, sie wurde nicht benutzt. Kaum versuche ich mich aus seiner Umschlingung zu lösen, spürt er das und zieht mich an sich. Dann wird er wach. Er schaut mich an und lächelt. Wir plaudern ein wenig über

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