Und immer wieder Liebe Roman
bestellen wir jetzt? Ich nehme ein Glas Wein.«
Wir haben lange geplaudert. Ich habe drei Biere getrunken und eine Freundin wiedergefunden. An jenem Abend begann das neue Leben, und Federico ist eine Romanfigur geworden.
New York, den 2. Mai 2002
14 Ist Avenue
Liebe Emma,
ich bin im East Village. Hier gibt es Händler, die Bonbons gleich kiloweise verkaufen, Stoffgeschäfte, heruntergekommene Mietshäuser und schmuddelige Drugstores. Dazwischen sprießen hippe Boutiquen aus dem Boden. Ich finde, dass die Kleider wie Lumpen aussehen – dafür kosten sie aber ein Vermögen. Sarah kennt sich natürlich bestens aus in dieser sich rundum erneuernden Welt. Lucien Bahaj ist ein Herr mit grauen Haaren, die er wie ein Hippy schulterlang trägt. Er kam aus Frankreich in die USA und hat fünfundzwanzig Jahre als Koch gearbeitet, bevor er 1998 sein eigenes Lokal eröffnet hat: Bei Lucien bekommt man ein Stückchen Paris mitten in New York. Dort sitze ich jetzt. Hier isst man foie gras oder frische Austern oder hausgemachte Pommes frites (keine tiefgefrorenen) und die besten Steaks. Die Weinkarte ist auf Brasserie-Spiegel geschrieben. Nun bin ich also mitten in New York, und vor mir an der Wand hängt ein Foto von Deiner geliebten Simone de Beauvoir. Und die »New York Review of Books«, die hier an einem Haken hängt, hat ausgerechnet in dieser Woche beschlossen, einen Artikel über Sarah Bernhardt zu drucken. Der alte Lucien scheint das absichtlich zu machen – alles hier erzählt nur von Dir. Er bietet mir ein Glas Wein an und fragt mich, wie es mir geht. Entweder ist mein Gesichtsausdruck so trostlos, oder er kann Gedanken lesen. Ich warte auf Anne und ein paar Freunde, während Paolo Conte mir den Dolch in die Wunde stößt: »J’ai besoin d’une p’tite tendresse, m’intéresse«. Mir fällt es schwer, den objektiven Blick auf diese Stadt und auf mich selbst wiederzugewinnen, auch wenn der Wein seine Wirkung nicht verfehlt. Es war das erste Mal in zwanzig Jahren Ehe, dass ich eine andere Frau als Anne berührt habe. Und es ist das
erste Mal, dass ich eine andere Frau begehre. Ich denke an Deine Augen, die mich verwirrt anblicken, wenn ich Dich an mich ziehe. Ich denke an Dich, wenn ich morgens die Augen öffne, wenn ich mir die Zähne putze, wenn ich auf die Vespa steige, um ins Büro zu fahren. Ich bin wie ein Song von Lucio Battisti. Nur ohne Poesie.
Ich arbeite und denke an Dich. Ich komme heim und denke an Dich. Ich telefoniere mit ihr und denke an Diiich. Ich denke an Dich...
Auf der Straße sehe ich nur Dich, wie in einem einfarbigen Kaleidoskop, ich spüre Deine Zärtlichkeiten und lasse sie einfach geschehen. Ich bin verstört angesichts meiner Unfähigkeit, in Schach zu halten, was ich so sehr gewollt habe. Ein Fick ist nie »nur« ein Fick, nicht einmal für einen Mann. Oder zumindest nicht für mich. Unser Zusammensein hat ein Versprechen in sich geborgen. Ich bin nicht romantisch von Natur aus, und ich hasse jeden Fatalismus, aber ich fühle mich wie am Abgrund einer bretonischen Klippe. Mich an diese Blätter zu klammern, ist, als würde ein Lungenkranker in ein Sanatorium kommen. Mir fehlt die Intimität. Die von vor drei Wochen. Sei bei mir. In jedem Augenblick.
Federico
P.S. Entschuldige den Ton meines Briefs. Er drückt nur einen Bruchteil der Gedanken aus, die mir im Hirn herumgespukt sind, seit ich Dich durch den Metalldetektor verschwinden sah und mit leerem Blick zurückblieb.
Mailand, den 2. Mai 2002
Via Londonio 8
Lieber Federico,
die Nacht ist zu Ende. Ich habe mir die nötige Zeit zum Aufwachen genommen. In den letzten Wochen hat Deine faule Emma nach Zerstreuung gesucht – sie hat alle möglichen Einladungen angenommen und sich in der Buchhandlung verausgabt. Nur einmal habe ich mich verweigert, als mich Gabriella nämlich in einen Film schleppen wollte. Dem Himmel so fern ist eine Geschichte über eine perfekte Ehefrau, die immer einen Apfelkuchen im Ofen hat, mit ihrem Ehemann einen absoluten Glückstreffer gelandet und selbstredend lauter wohlgeratene Kinder hat. Als sie ihren Mann eines Abends jedoch zufällig mit einem anderen Mann flirten sieht, brechen alle ihre Sicherheiten zusammen. Das ist im Moment einfach zu viel für mich.
Überhaupt fürchte ich, dass ich gerade nicht sehr umgänglich bin. Alice grollt mir, weil ich über die Verkaufszahlen während meiner Abwesenheit nicht in Begeisterungsstürme ausgebrochen bin und auch kein
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