Und in mir der unbesiegbare Sommer (German Edition)
Blödsinn!«
Ich starrte ihn an.
»Mein Püppchen ist tot«, sagte Janina.
68
Wir erreichten Jakutsk.
»Jetzt wird es sich zeigen. Sich zeigen«, sagte der Lange unruhig. »Wenn wir hier an Land gehen, fahren wir nicht nach Amerika. Nicht nach Amerika.«
»Wohin fahren wir dann?«, fragte Jonas.
»In die Kolyma-Region«, antwortete der Glatzkopf. »Zu einem der Gefängnisse. Vielleicht nach Magadan.«
»Wir fahren nicht nach Magadan«, sagte Mutter. »Hören Sie auf mit dem Unsinn, Herr Stalas.«
»Nicht Kolyma, nein, nicht Kolyma«, sagte der Lange.
Die Kähne wurden langsamer.
»Oh, nein, bitte nicht«, flüsterte Jonas.
Wir hielten an.
Frau Rimas brach in Tränen aus. »In einem Gefängnis, so weit weg von meinem Mann? Das darf nicht sein.«
Janina zog mich am Ärmel. »Liale sagt, dass wir nicht nach Kolyma fahren.«
»Wie bitte?«, fragte ich.
»Sie sagt, wir fahren nicht dorthin«, wiederholte sie schulterzuckend.
Wir drängten uns an der Reling. Einige NKWD-Leute gingen von Bord, auch Kretzky. Er trug einen Rucksack. Am Ufer erwartete sie ein Offizier. Wir sahen zu, wie die Passierscheine geprüft wurden.
»Schaut mal«, sagte Jonas. »Ein paar NKWD-Leute schaffen Vorräte auf den Kahn.«
»Dann gehen wir hier also nicht von Bord?«, fragte ich.
Da wurden am Ufer Stimmen laut. Kretzky diskutierte mit dem Offizier. Ich verstand, was er sagte: Er befahl Kretzky, den Kahn wieder zu besteigen.
»Kretzky will hierbleiben«, sagte Jonas.
»Soll er doch«, erwiderte ich.
Mutter senkte seufzend den Blick. Kretzky ging wieder zum Kahn. Er verließ uns nicht. Er kam mit, wohin auch immer wir fuhren.
Die Menschen an Bord jubelten und fielen einander in die Arme, als Jakutsk hinter uns zurückblieb.
Eine Woche später herrschte immer noch eine heitere Stimmung. Die Leute sangen an Deck. Irgendjemand spielte Akkordeon. Dann stürmte Kretzky durch die Menge, stieß die Leute zur Seite. »Was ist hier los? Seid ihr noch bei Trost? Ihr jubelt, als ginge es nach Amerika. Idioten!«, brüllte er.
Die Hochstimmung wich bedrücktem Gemurmel.
»Amerika. Amerika?«, flüsterte der Lange.
Wohin brachte man uns? Es war schon August. Je weiter wir nach Norden fuhren, desto kälter wurde es. Mir kam es vor wie Ende Oktober, nicht wie Sommer. Die Wälder an den Ufern der Lena lichteten sich.
»Wir sind jetzt in der Polarregion«, verkündete Herr Lukas.
»Was?«, japste Jonas. »Wieso? Wohin bringen sie uns?«
»Hat alles seine Richtigkeit«, sagte der Lange. »Wir fahren bis zur Mündung der Lena und besteigen riesige Dampfer nach Amerika. Dampfer!«
Die Kähne hielten in Bulun und Stolbai. Wir sahen zu, wie man große Gruppen von den Kähnen trieb und hier, in der Arktis, einfach so am Ufer stehen ließ. Wir fuhren weiter.
Ende August erreichten wir das Mündungsdelta der Lena. Die Temperatur lag knapp über dem Gefrierpunkt. Als der Kahn am Ufer anlegte, klatschten die eisigen Wellen der Laptewsee gegen die Planken.
»Dawai!«, bellten die Wachmänner und trieben uns mit Kolbenstößen an.
»Sie wollen uns ersäufen«, sagte der Glatzkopf. »Sie haben uns den ganzen weiten Weg befördert, um hier kurzen Prozess mit uns zu machen.«
»Oh, mein Gott«, sagte Frau Rimas. »Bitte nicht.«
NKWD-Leute legten eine Holzplanke auf die Bordwand, über die sie die Kinder mit viel »Dawai« -Gebrüll an Land scheuchten.
»Warum sollen wir uns beeilen?«, fragte Mutter. »Hier gibt es ja nichts.«
Das stimmte. Hier lebte niemand. Hier gab es weder Bäume noch Büsche, nur den Uferstreifen und das endlos weite Meer. Nur die arktische Tundra, die Laptewsee und den schneidenden Wind, der mir Sand in Mund und Augen blies. Ich umklammerte meinen Koffer. Die NKWD-Leute gingen zu zwei Backsteingebäuden. Wie sollten wir alle in diese Gebäude passen? Wir waren über dreihundert Menschen.
Kretzky diskutierte mit ein paar Kameraden und wiederholte, dass er nach Jakutsk müsse. Ein NKWD-Mann mit fettigen Haaren und krummen braunen Zähnen befahl uns, stehen zu bleiben.
»Wohin wollt ihr?«, herrschte er uns an.
»Zu den Gebäuden«, sagte Mutter.
»Die sind für den NKWD«, fauchte er.
»Und wo sollen wir unterkommen?«, fragte Mutter. »Wo ist das Dorf?«
Der Mann breitete die Arme aus. » Das hier ist das Dorf. Ihr habt alles für euch ganz allein.« Die anderen NKWD-Leute lachten.
»Wie bitte?«, sagte Mutter.
»Gefällt es euch nicht? Findet ihr es nicht gut genug? Faschistenschweine. Schweine schlafen im
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