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Und in mir der unbesiegbare Sommer (German Edition)

Und in mir der unbesiegbare Sommer (German Edition)

Titel: Und in mir der unbesiegbare Sommer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruta Sepetys
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Schlamm. Noch nicht gewusst, wie? Aber bevor ihr schlaft, müsst ihr noch die Bäckerei fertigstellen und eine Fischfabrik errichten.« Er trat dicht vor Mutter. Seine kaputten Zähne ragten unter der Oberlippe hervor. »Faschisten mögen Fisch, nicht wahr? Ihr widert mich an, ihr Schweine.« Er spuckte Mutter auf die Brust und ging davon. »Ihr habt nicht einmal den Schlamm verdient!«, brüllte er über die Schulter.
    Wir mussten Backsteine und Holz aus dem Kahn laden. Wir liefen nacheinander in den tiefen Laderaum und schleppten so viele Steine auf einmal wie möglich. Es dauerte zehn Stunden, bis wir die Ladung gelöscht hatten. Außerdem luden wir noch Kerosinfässer, Mehl und sogar kleine Fischerboote aus, alles für den NKWD. Meine Arme zitterten vor Erschöpfung.
    »Liale sagt, dass wir nicht nach Amerika fahren«, verkündete Janina.
    »Ach, wirklich? Hat dir deine Geisterpuppe auch ins Ohr geflüstert, dass wir hier landen?«, fragte der Glatzkopf und zeigte auf ein verwittertes Schild.
    Trofimowsk . Im Lenadelta, nördlich des Polarkreises, nicht weit vom Nordpol.

69
    Wir hüllten uns in die Mäntel und drängten uns zusammen, um es etwas wärmer zu haben. Ich sehnte mich nach dem Arbeitslager, nach Uljuschkas Hütte, nach Andrius. Der Dampfer tutete, dann zog er die Kähne auf der Lena stromaufwärts. Ob sie noch mehr Leute holten?
    »Wie willst du hier Briefe an Papa abschicken?«, fragte Jonas.
    »Es muss ein Dorf in der Nähe geben«, meinte Mutter.
    Ich dachte an das Holzstück, das in Tscheremchowo weitergegeben worden war. Irgendeine meiner Botschaften musste Papa inzwischen erreicht haben.
    »Das führen sie also im Schilde«, sagte der Glatzkopf und sah sich um. »Will Stalin uns so erledigen? Er lässt uns erfrieren. Er wirft uns den Füchsen zum Fraß vor.«
    »Füchse?«, fragte Frau Rimas. Janinas Mutter warf dem Glatzkopf einen bösen Blick zu.
    »Wenn es hier Füchse gibt, können wir sie essen«, sagte Jonas.
    »Schon mal einen Fuchs gefangen, Junge?«, fragte der Glatzkopf.
    »Nein. Aber es ist sicher machbar«, erwiderte Jonas.
    »Er hat gesagt, wir sollen eine Fabrik für sie errichten«, sagte ich.
    »Dies kann nicht unser Zielort sein«, murmelte Mutter. »Sie werden uns bestimmt noch weiterschicken.«
    »Da wäre ich mir nicht so sicher, Elena«, wandte Herr Lukas ein. »Für die Sowjets gibt es Litauen, Lettland und Estland nicht mehr. Stalin muss uns alle loswerden, damit seine Vision unbefleckt ist.«
    Unbefleckt. Waren wir für Stalin denn nur Dreck?
    »Wir haben bald September«, sagte Herr Lukas und zog seine Uhr auf. »Bald bricht die Polarnacht an.«
    September. Und es war schon eiskalt. Wir hatten die Polarnacht in der Schule durchgenommen. In der Arktis verschwand die Sonne hundertachtzig Tage hinter dem Horizont. Ein gutes halbes Jahr herrschte Dunkelheit. Ich hatte während der Stunde nicht gut aufgepasst, sondern die hinter dem Horizont versinkende Sonne gezeichnet. Nun sank mir das Herz. Es rutschte bis in den Magen, wo die Galle an ihm zu fressen begann.
    »Wir haben wenig Zeit«, fuhr Herr Lukas fort. »Ich denke …«
    »Aufhören! Seien Sie endlich still!«, schrie Janinas Mutter.
    »Was haben Sie denn, meine Liebe?«, fragte Mutter.
    »Psst! Wir dürfen die Wachmänner nicht auf uns aufmerksam machen«, sagte Frau Rimas.
    »Was ist denn, Mama?«, fragte Janina.
    Ihre Mutter schrie weiter. Sie hatte während der ganzen Fahrt kaum ein Wort gesagt, und nun konnten wir sie nicht mehr zum Schweigen bringen. »Ich halte das nicht aus! Ich will hier nicht sterben! Ich werde nicht zulassen, dass die Füchse uns fressen!« Sie schnellte herum und drückte Janinas Kehle zu, der ein ersticktes Gurgeln entwich.
    Mutter warf sich auf Janinas Mutter und riss ihre Finger vom Hals des Mädchens. Janina kam wieder zu Atem und begann zu schluchzen.
    »Es tut mir ja so leid«, sagte ihre Mutter weinend. Sie kehrte uns den Rücken zu und versuchte, sich selbst zu erwürgen.
    Frau Rimas gab ihr eine Ohrfeige. Herr Lukas hielt ihre Arme fest.
    »Sind Sie verrückt?«, fragte der Glatzkopf. »Wenn Sie sich umbringen wollen, dann bitte allein.«
    »Sie sind schuld«, sagte ich. »Sie haben erzählt, dass wir von Füchsen gefressen werden.«
    »Sei still, Lina«, mahnte Jonas.
    »Mama«, schluchzte Janina.
    »Sie redet schon ständig von ihrer Puppe. Wir können es nicht gebrauchen, dass sie jetzt auch noch von ihrer toten Mutter erzählt«, sagte der Glatzkopf.
    »Mama!«, schrie

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