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Und in mir der unbesiegbare Sommer (German Edition)

Und in mir der unbesiegbare Sommer (German Edition)

Titel: Und in mir der unbesiegbare Sommer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruta Sepetys
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Brei in den Eimern. Wir aßen gierig, leckten unsere Hände und die Finger mit den dreckigen Nägeln ab. Janinas Mutter schlief meist. Ich fand trotz der Erschöpfung kaum Schlaf. Krach und Gerüttel des Zugs hielten mich wach. Ich saß da und fragte mich, wohin man uns brachte und wie ich Papa darüber in Kenntnis setzen konnte.
    Janina tippte dem Glatzkopf auf die Schulter. »Ich habe gehört, dass Sie Jude sind«, sagte sie.
    »Ach? Das hast du gehört?«, erwiderte er.
    »Stimmt es?«, fragte Janina.
    »Ja. Und ich habe gehört, dass du eine kleine, freche Göre bist. Stimmt das?«
    Janina dachte nach. »Nein, ich glaube nicht«, sagte sie dann. »Wissen Sie schon, dass Hitler und die Nazis die Juden ermorden wollen? Das hat meine Mama erzählt.«
    »Deine Mutter irrt sich. Hitler hat mit der Ermordung der Juden schon längst angefangen.«
    »Aber warum?«, fragte Jonas.
    »Weil die Juden die Sündenböcke für alle Schwierigkeiten Deutschlands sind«, antwortete der Glatzkopf. »Hitler ist fest davon überzeugt, dass die Lösung in einer reinen Rasse besteht. Aber das ist wohl zu kompliziert für Kinder.«
    »Dann sind Sie also lieber bei uns als bei den Nazis?«, fragte Jonas.
    »Glaubst du, ich hätte mir das hier ausgesucht? Dieser Krieg bedeutet unser Ende, egal wer siegt – ob Hitler oder Stalin. Litauen sitzt zwischen Hammer und Amboss. Ihr habt den Mann gehört. Die Japaner haben Pearl Harbor bombardiert. Die Vereinigten Staaten haben sich jetzt bestimmt mit der Sowjetunion verbündet. Aber genug geredet. Seid jetzt still«, knurrte der Glatzkopf.
    »Wir fahren nach Amerika«, sagte der Lange. »Amerika.«

65
    Nach einer Woche hielt der Zug mitten in der Nacht. Frau Rimas entdeckte ein Schild mit der Aufschrift »Makarow«. Man trieb uns aus den Waggons. Die saubere, frische Luft schlug mir ins Gesicht. Ich atmete durch die Nase ein und durch die trockenen Lippen wieder aus. Die Wachmänner führten uns zu einem großen, gut vierhundert Meter entfernten Gebäude. Wir zerrten unsere schmutzigen Habseligkeiten aus dem Zug. Mutter brach im Dreck zusammen.
    »Helft ihr schnell auf«, sagte Frau Rimas und sah sich nach den Wachen um. »Wenn sie eine trauernde Mutter erschießen, werden sie bei einer Frau mit wackeligen Beinen auch nicht lange fackeln.«
    »Es geht schon. Ich bin nur müde«, sagte Mutter. Frau Rimas und ich stützten sie, Jonas schleppte unsere Koffer. Kurz vor dem Gebäude stolperte Mutter noch einmal.
    »Dawai!« Zwei NKWD-Leute mit Gewehren näherten sich. Mutter ging nicht schnell genug.
    Als sie auf uns zukamen, richtete Mutter sich auf. Einer der Männer spuckte in den Dreck, der andere musterte sie. Ich erschrak: Es war Kretzky. Er war mitgekommen.
    »Nikolai«, sagte Mutter mit schwacher Stimme.
    Kretzky zeigte in eine andere Richtung und marschierte zur nächsten Gruppe.
    Das Gebäude war so groß wie eine Scheune. Tausende wie wir schienen sich darin aufzuhalten. Wir waren zu müde zum Reden und sanken auf unsere Habseligkeiten. Meine Muskeln entspannten sich. Der feste Boden fühlte sich herrlich an. Es kam mir vor, als wäre ein Metronom angehalten worden. Das Kreischen der Räder hatte ein Ende. Ich legte einen Arm um meinen Koffer, umarmte Dombey und Sohn . Alles war still. Wir lagen in unseren Lumpen da und schliefen.
    Der Morgen dämmerte. Ich spürte Janinas Atem im Nacken, denn sie hatte sich an mich gekuschelt. Jonas saß auf seinem Koffer und nickte mir zu. Mutter schlief noch fest, Gesicht und Arme auf den Koffer gelegt.
    »Sie hat ihn Nikolai genannt«, sagte Jonas.
    »Wen?«
    Jonas begann, auf und ab zu laufen. »Kretzky. Hast du sie nicht gehört? Sie hat ihn gestern Abend Nikolai genannt.«
    »Ist das sein Vorname?«
    »Ja. Ich wusste nicht, wie er heißt. Woher weiß sie es?«, fragte Jonas wütend. »Warum ist er mitgekommen?« Er trat nach einem Dreckklumpen.
    Der NKWD brachte uns Brot und Eimer mit Pilzsuppe. Wir weckten Mutter und kramten in unseren Beuteln nach Tassen oder Tellern.
    »Sie bereiten uns vor, bereiten uns vor«, sagte der Lange. »In Amerika wird es jeden Tag ein Festmahl geben. Jeden Tag.«
    »Warum geben sie uns zu essen?«, fragte ich.
    »Damit wir besser arbeiten können«, antwortete Jonas.
    »Esst alles auf«, befahl Mutter.
    Nach dem Essen trieben die Wachmänner alle zusammen. Mutter spitzte die Ohren. Dann lachte sie leise. »Wir sollen baden. Wir werden ein Bad nehmen können!«
    Wir eilten zu einem großen hölzernen Badehaus. Mutter

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