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Und in mir der unbesiegbare Sommer (German Edition)

Und in mir der unbesiegbare Sommer (German Edition)

Titel: Und in mir der unbesiegbare Sommer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruta Sepetys
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Janina.
    »Alles wird gut«, sagte Mutter und strich über das verfilzte Haar der Frau. »Wir werden es schaffen. Wir dürfen nicht durchdrehen. Alles wird gut. Glauben Sie mir.«

70
    Bei Tagesanbruch trieben uns die NKWD-Leute an die Arbeit. Mein Nacken schmerzte, weil ich auf meinem Koffer geschlafen hatte. Jonas und Mutter hatten zum Schutz vor dem Wind unter einem Fischerboot gelegen. Ich hatte die Augen nur wenige Stunden zugetan, denn nachdem alle eingeschlafen waren, hatte ich im Mondschein gezeichnet. Ich hatte skizziert, wie Janinas Augen aus dem Kopf quollen, als sie von ihrer Mutter gewürgt wurde. Ich hatte Andrius geschrieben, dass wir in Trofimowsk waren. Doch wie sollte ich diesen Brief jemals abschicken? Würde Andrius glauben, dass ich ihn vergessen hatte? Wir sehen uns wieder , hatte er gesagt. Aber wie sollte er mich hier finden? Papa, dachte ich, bitte hol uns schnell hier weg.
    Der NKWD teilte uns in fünfundzwanzig Gruppen zu je fünfzehn Personen auf. Wir waren in der elften Gruppe. Alle Männer, die noch kräftig genug waren, mussten beim Bau neuer NKWD-Unterkünfte helfen. Die Jungen fuhren zum Fischen auf die Laptewsee. Die übrig gebliebenen Frauen und älteren Leute sollten eine Hütte, eine Jurte , für ihre jeweilige Gruppe errichten. Wir durften weder Backsteine noch Holz benutzen, weil all dies für die NKWD-Unterkünfte bestimmt war. Denn der Winter brach an, und der NKWD brauchte Wärme und Gemütlichkeit, sagte Iwanow, der Wachmann mit den braunen Zähnen. Wir konnten nur auf Treibgut zurückgreifen.
    »Wir brauchen erst einmal Baumaterial«, sagte Frau Rimas. »Rennt los und sammelt alles, was ihr finden könnt, bevor andere es nehmen. Bringt alles her.«
    Ich sammelte große Steine, Stöcker und Backsteinsplitter. Wollten wir wirklich ein Haus aus Stöckchen und Steinchen bauen? Mutter und Frau Rimas fanden angespülte Stämme. Sie schleppten sie bis zu unserem Platz und gingen dann von neuem auf die Suche. Ich sah, wie eine Frau mit den Händen Moos ausgrub, das sie als Abdichtung zwischen die Steine stopfte. Also rissen Janina und ich Moosbüschel aus und taten sie zu den anderen Materialien. Mit war schlecht vor Hunger, und ich konnte es kaum erwarten, dass Jonas mit dem Fisch zurückkehrte.
    Er kam nass und zitternd und mit leeren Händen wieder.
    »Wo sind die Fische?«, fragte ich mit klappernden Zähnen.
    »Wir dürfen keinen Fisch essen, sagen die Wachmänner. Alles, was wir fangen, kommt in die Vorratskammern des NKWD.«
    »Was essen wir stattdessen?«, fragte ich.
    »Brot«, antwortete er.
    Es dauerte eine Woche, bis wir genug Holz für das Gerüst unserer Jurte beisammenhatten. Die Männer erörterten die Bauweise. Ich fertigte die Skizzen an.
    »Dieses Holz sieht nicht sehr stabil aus«, meinte Jonas. »Es ist nur Treibholz.«
    »Wir haben nichts anderes«, erwiderte Herr Lukas. »Wir müssen uns beeilen, um noch vor dem ersten Schnee fertig zu werden. Wenn wir das nicht schaffen, werden wir erfrieren.«
    »Beeilung. Beeilung«, sagte der Lange.
    Ich schlug mit einem Stein tiefe Löcher in den gefrorenen Boden. In größerer Tiefe musste ich Eis weghacken. Dann stellte ich die Stämme mit Hilfe von Mutter und Frau Rimas senkrecht in die Löcher, die wir dann wieder auffüllten.
    »Ich finde es zu klein für fünfzehn Leute«, sagte ich.
    »Wenn es eng wird, haben wir es wärmer«, entgegnete Mutter.
    Iwanow näherte sich mit Kretzky. Ich verstand einen Großteil dessen, was sie sagten.
    »Die langsamsten Schweine in Trofimowsk!«, zischte Iwanow durch seine fauligen Zähne.
    »Ihr braucht ein Dach«, sagte Kretzky und gestikulierte mit seiner Zigarette in der Hand.
    »Ja, ich weiß. Und wie heizen wir?«, fragte ich. Wir hatten genug Holz, um ein Dach zu bauen, aber wie sollten wir es drinnen warm kriegen?
    »Wir brauchen einen Ofen«, sagte Mutter auf Russisch.
    Iwanow fand das sehr lustig. »Einen Ofen? Was denn noch? Ein heißes Bad? Einen Cognac? Haltet das Maul und macht euch an die Arbeit.« Er ging davon.
    Mutter sah Kretzky an.
    Er senkte den Blick und verschwand auch.
    »Siehst du? Er hilft uns nicht«, sagte ich.
    Nach einer weiteren Woche hatten wir die Jurte wortwörtlich aus dem Boden gestampft. Doch es war kein Haus, sondern ein Müllhaufen aus Stämmen, die wir mit Sand, Schlamm und Moos bedeckt hatten. Ein Kind hätte so etwas zum Spielen gebaut. Und wir mussten darin wohnen.
    Die Männer stellten die Unterkünfte für den NKWD fertig, richtige

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