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Und Jimmy ging zum Regenbogen

Und Jimmy ging zum Regenbogen

Titel: Und Jimmy ging zum Regenbogen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
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Kiefer mahlten. Rotes Licht erhellte die Folterkammer mit ihrer Eisernen Jungfrau, ihren Blöcken, Spießen, Lanzen, Beilen, Ruten, Stöcken, Daumenschrauben, Vorrichtungen zum Aufhängen, Zangen, Bleikugeln, Peitschen und Ketten.
    »Ich rede nicht, du gelbes Schlitzauge! Ich rede nicht! China, verrecke!« schrie Direktor Pfitzner.
    »Halt’s Maul, korrumpiertes westliches Schwein!« brüllte Yvonne ihn an und begann mit der vierten Nadel.
    »Oh, wie sie wütet, wie sie mich martert!«
    Bei der fünften oder sechsten Nadel wird es wohl soweit sein, dachte Yvonne, sachkundig das Glied betrachtend, das leicht zuckte.
    Nora Hill hatte ihr Herrn Pfitzner besonders ans Herz gelegt: »Gib dir Mühe, Yvonne, ja, bitte? Besondere Mühe. Der Herr Direktor kommt zum erstenmal. Madeleine schickt ihn.« Madeleine war die Erste Barfrau eines der Lokale in der Innenstadt, aus denen Nora Hill ihre Mädchen zu holen pflegte, wenn Not am Mann war. »Ein Deutscher. Aus Frankfurt. Ganz wichtiger Bonze im Außenhandel. Er hat sich Madeleine anvertraut und erklärt, was er braucht. Er bringt alles mit, in einer Schatulle. Ein blaues Trikot hast du. Auch einen Sonnenhut aus Stroh.«
    »Aber warum schon wieder ich, Madame?«
    »Madeleine hat Herrn Direktor Pfitzner von dir erzählt, wie du aussiehst, wie du bist – da sagte er: Die und keine andere! Was soll ich machen? Ist doch leichte Arbeit, Yvonne, sei vernünftig. Ich habe auch noch eine Idee, ich glaube, der Herr Direktor wird begeistert sein …«
    Und Nora hatte ihre Idee entwickelt.
    Sie erinnerte Yvonne an einen Herrn aus Duisburg (Stahl), der vor einigen Monaten zu Besuch gewesen war. Dieser Herr hatte ein Köfferchen mitgebracht, es geöffnet und Yvonne (natürlich auch wieder Yvonne!) genaue Anweisungen gegeben.
    »Das da ist die Uniform von einem weiblichen sowjetischen Hauptmann. Die ziehst du an. Hose, Stiefel, Bluse, Gürtel, Kappe, alles.«
    »Wo hast du das her, Schatz?«
    »Nenn mich nicht Schatz! Nenn mich faschistischer Bandit!«
    »Wo hast du das her, du faschistischer Bandit?«
    »Theaterkostümverleih. Hier ist eine Schallplatte. Das Deutschlandlied. Wir brauchen einen Plattenspieler.«
    »Ist einer da, du Faschist.« Yvonne paßte sich schnell an.
    »Großartig. Und hier, ein Rasiermesser. Ich ziehe mich nackt aus und lege mich auf dieses Prokrustesbett. Und dann …« Er hatte weitere Anweisungen gegeben.
    Die Sache lief darauf hinaus, daß Yvonne ihn dauernd beschimpfen und dabei anspucken mußte. Mit dem Rasiermesser hatte sie feine, lange Linien über seine Brust zu ziehen. Das Blut quoll in dünnen Rinnsalen aus ihnen. Yvonnes Beschimpfungen wurden immer wüster und lauter, der Herr aus Duisburg (Stahl) regte sich mehr und mehr auf.
    »Niemals«, rief er, »niemals werdet ihr Bolschewikenverbrecher siegen!« Darauf erhielt er – auf besonderen Wunsch – eine mächtige Ohrfeige von Yvonne, die danach weiter auf der völlig unbehaarten rosigen Brust des Herrn herumschnitt, sanft und vorsichtig. Es war nun schon eine ganze Menge Blut ausgetreten. Der Herr flüsterte: »Jetzt!«
    Daraufhin drückte Yvonne auf einen Knopf und setzte so einen in die Wand der Folterkammer eingebauten Plattenspieler in Gang. Aus zwei Stereo-Lautsprechern an der Decke erklang schmetternd das Deutschlandlied, dessen Text Hoffmann von Fallersleben verfaßt und dessen Musik Joseph Haydn komponiert hatte. Von dieser Nationalhymne der Bundesrepublik, deren erste Strophe mit den Worten ›Deutschland, Deutschland über alles‹ begann, durfte seit dem verlorenen Krieg bei festlichen Anlässen nur noch die dritte Strophe gesungen werden, wennschon ihr Text der Bevölkerung weitgehend unbekannt war.
    Der Herr aus Duisburg (Stahl) hatte eine alte Schallplatte – 78 Umdrehungen pro Minute – mitgebracht und um das Abspielen der ersten, nunmehr inopportunen Strophe gebeten.
    Also intonierte ein großer gemischter Chor feierlich: ›Deutschland, Deutschland über alles, über alles in der Welt …‹ Im nächsten Moment schon war dem heroischen Herrn aus Duisburg (Stahl) ein phantastischer Erguß beschieden gewesen …
    »Die Platte ist noch da«, hatte Nora Hill zu Yvonne gesagt. »Er hat sie damals vergessen. Herr Direktor Pfitzner kommt auch aus Deutschland. Frankfurt oder Duisburg, ist doch egal. Du bist für ihn eine Chinesin, die ihn foltert, das ist sein Wunsch. Ich denke, wir machen ihm eine besondere Freude, wenn du die Platte laufen läßt, sobald es fast soweit

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