Und Jimmy ging zum Regenbogen
ist …«
Yvonne hatte die fünfte Nadel eingeschlagen.
Es kann sich nur noch um Sekunden handeln, dachte sie, eine aufmerksame Beobachterin.
»Kein Wort«, stöhnte der nackte und dickbäuchige Herr Direktor Pfitzner, »kein Wort bekommst du aus mir heraus! Ich verrate niemanden!«
»Und wie du alle verraten wirst, elender Imperialist! Scheißkerl! Kriegstreiber, verfluchter! Wo verbergen sich die Verbrecher der Konterrevolution? Los, sag es!« brüllte Yvonne ihn an. Die sechste Nadel schlug sie mit etwas mehr Gewalt durch den Sack. Er soll etwas haben für sein Geld, dachte sie, während Herr Direktor Pfitzner vor Wollust aufheulte.
Hoppla, jetzt aber!
Blitzschnell schaltete Yvonne den versteckten Plattenspieler ein, auf dem die zurückgebliebene Platte aus Duisburg lag. Unmittelbar darauf erklang es, schmetternd und inbrünstig, aus den beiden Lautsprechern: ›Deutschland, Deutschland über alles …‹
Na? dachte Yvonne, wieder Herrn Direktor Pfitzner zugewandt, na?
›… über alles in der Welt …‹
Ein tierisches Gebrüll erscholl.
Herr Direktor Pfitzner fuhr von seinem Lager empor. Dabei trat er Yvonne mit dem rechten Schuh voll in den Leib. Sie schrie auf, fiel hintenüber und bekam keine Luft, so weh tat ihr der Tritt. Der Strohhut war weit fortgeflogen.
›… wenn es stets zum Schutz und Trutze …‹
Herr Direktor Pfitzner hatte sich zu seiner ganzen, massige Größe erhoben. Wild standen ihm die Haare vom Kopf ab. Der Bauch schwang hin und her, ebenso das Brettchen zwischen seinen Beinen.
»Abstellen! Sofort abstellen, das verfluchte Lied!«
Herr Direktor Pfitzner tappte suchend hin und her. In seinem Zorn schleuderte er Morgensterne, Peitschen und Daumenschrauben durch den Raum. Er fand den Plattenspieler nicht, und zu den Lautsprechern hinauf kam er nicht, obwohl er ein paarmal Hochsprünge versuchte.
»Das Scheißlied! Abstellen! Abstellen! Wirst du wohl, du dreckige Hure!« Herr Direktor Pfitzner stürzte sich auf die am Boden liegende Yvonne und traktierte sie weiter mit Fußtritten.
Sie schrie gellend.
Herr Direktor Pfitzner raste.
Was ist bloß danebengegangen? dachte Yvonne in Panik. Hat er den Verstand verloren? Herr Direktor Pfitzner riß sie hoch und schlug nun auf Yvonne ein. Sie taumelte gegen die Wand zurück. Er folgte, wild prügelnd und fluchend: »Verrat! Schweine! Unverschämtheit! Anzeigen! Anzeigen werde ich das! Da hast du, du Drecksau … und da … und da!«
›… Von der Maas bis an die Memel …‹ Das Lied erscholl donnernd immer weiter.
Yvonne war jetzt zu weit von dem Knopf entfernt, der den Plattenspieler abgestellt hätte. Blitzschnell drückte sie die Nottaste an der Wand. In Nora Hills Wohnzimmer und an vier anderen Orten im Haus fielen daraufhin in kleinen schwarzen Kästen Metallplättchen herab, welche die Nummer des Zimmers sichtbar werden ließen, in dem Yvonne sich befand.
›… von der Etsch bis an den Belt …‹ jubelten Frauenstimmen.
Herr Direktor Pfitzner riß Yvonne an den Haaren. Er drosch mit geballten Fäusten zu, egal, wohin er traf. Das blaue Spitzentrikot ging in Fetzen. Yvonne schrie. Yvonne versuchte zu flüchten. Er versperrte ihr den Weg. Seine Arme flogen wie Dreschflegel. Er brülle: »Hure, verfluchte! Willst du dich lustig machen über mich?« Er hatte nun auch Schmerzen. Das Brettchen zog. Dies kam hinzu.
»Ich … aber wieso …«
»Kusch! Lustig machen! Dir werde ich’s geben!«
›… Deu-eutschland, Deu-eutschland über a-alles …‹
Die Tür flog auf.
Georg, im Smoking, stürzte herein, gefolgt von einem Hausdiener. Sie sprangen den Rasenden von hinten an, drehten ihm geschickt die Arme auf den Rücken und stießen ihn zur Seite, fort von Yvonne, die schluchzend zu Boden sank.
»Laßt mich los, ihr Hunde! Loslassen … ihr österreichischen Schweine!«
»Beruhigen Sie sich, Herr Direktor, bitte, beruhigen Sie sich«, rief Diener Georg, seinen Mann, ebenso wie der Hausdiener, eisern festhaltend. Er riß den einen Arm Pfitzners etwas hoch. Der Herr Direktor (Außenhandel) brüllte vor Schmerzen.
»Na, werden wir jetzt brav sein?« fragte Georg sanft.
Auf ihren Krücken schwang sich Nora Hill in den Raum, die Tür hinter sich zuwerfend. Sie trug ein nachtblaues langes Kleid und blitzenden Brillantschmuck an diesem Abend.
›… über a-alles in de-er Welt!‹ Der Höhepunkt der Hymne war erreicht. Schmetternd setzte das Orchester ein.
»Was ist hier vorgefallen?« rief Nora Hill. »Etwas
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