Und Jimmy ging zum Regenbogen
einen Juden zum Mann gehabt!«
»Ja, eben. Und er ist gefallen im Ersten Weltkrieg. Es ist mir unbegreiflich, daß gerade jemand wie Sie darum so über Juden sprechen kann. Ich verstehe das einfach nicht. Ich …«
Die dicke Frau packte Valerie, ehe diese zurückweichen konnte, an beiden Armen. Ihre Stimme überschlug sich.
»Warum ich so reden kann? Gerade
weil
ich verheiratet gewesen bin mit einem Juden!«
»Gerade weil …«
»Ich habe Sie angelogen!«
»Angelogen?«
»
Ja! Ja! Ja!
Mein Mann ist
nicht
gefallen 1918. Der hat ihn schön überlebt, den Krieg! In der Heimat! Unabkömmlich. Hat es sich gerichtet.
Reich
geworden ist er bis 1918. Und
nach
1918 erst recht, der dreckige Schieber! Was glauben Sie, was der zusammengerafft hat in der Inflation! Siebzehn Jahre waren wir verheiratet!« Die Lippowski hielt Valerie eisern fest. Es war unglaublich, welche Kräfte diese kleine, fette Frau besaß. »Siebzehn Jahre! Die besten Jahre meines Lebens habe ich ihm gegeben! Und er? 1922, da kommt er plötzlich und sagt, er will sich scheiden lassen.«
»Scheiden lassen …«
»Ja, und eine heiraten, die neunzehn Jahre jünger ist als ich, dreiundzwanzig Jahre jünger als er! Seine Sekretärin! Ein Jahr ist das schon gegangen mit den beiden, jetzt war sie schwanger, jetzt hat er es eilig gehabt mit dem Heiraten!«
»Sie hätten sich doch weigern können, in eine Scheidung einzuwilligen!«
»Habe ich ja auch! Aber da sind seine Anwälte über mich hergefallen – Juden natürlich –, und die haben mich bedroht und eingeschüchtert und vollkommen verrückt gemacht, daß er mich auf alle Fälle verlassen wird, mein Mann, weil ich ihn auch betrogen habe, und daß er deshalb Klage erheben wird …«
»
Haben
Sie ihn denn betrogen?«
»Lächerlich! Ein ganz kleines Gschpusi, 1912, mit einem Offizier … Das kann man doch nicht vergleichen! Aber in meiner Angst, daß ich schuldig geschieden werde und völlig mittellos dastehe, habe ich Ja und Amen gesagt zu allem, und er hat sie heiraten können, die geile, junge Judensau!«
»Sie war eine
Jüdin?
«
»Eine Jüdin, klar! Dieses Pack heiratet doch am liebsten in der eigenen Mischpoche!« Der Säugling im ersten Stock schrie durchdringend. »Mir hat er das Haus da gekauft, der feine Herr, erschachert, ganz billig, in der Inflation, ich sage es ja, was hat der damals für Häuser gekauft! Und zu monatlichen Alimenten ist er verurteilt worden – lächerliche Summen bei seinem Reichtum! Abgeschoben hat er mich hier heraus nach Dornbach … Und weil mich hier keiner gekannt hat, habe ich die Geschichte von seinem Tod im Krieg und unserer großen Liebe erfunden … damit niemand etwas von meiner Schande erfährt … nach siebzehn Jahren Ehe auf und davon mit einer anderen!« Hermine Lippowski hob eine Faust gegen die Decke. »Aber Gott ist gerecht! So etwas läßt er nicht durchgehen, ah, nein! Es hat ihm kein Glück gebracht, dem Viktor, wie er sich an mir versündigt hat, nein, kein Glück!«
»Wieso? Ist Ihr Mann …«
»1938, ja! Als einer von den ersten! Sie haben ihn gerade noch vor der Flucht erwischt. Und auch sein Vermögen. Die Judensau hat sich schon vorher umgebracht, und den Judenbuben dazu. Gleich im März noch. Fort mit Schaden! Auch an ihr hat Gott mich gerächt!«
»Und Ihr Mann?«
»Ist in ein Lager gekommen, habe ich gehört … Die räumen ordentlich auf, die Nazis, das muß man ihnen lassen …!«
48
»Ich habe Angst, Martin, ich habe solche Angst …«, flüsterte Valerie nun, am Abend, im Teekammerl der Buchhandlung. »Diese Lippowski ist halb irre vor Haß und Kränkung und Alleinsein … Weiß Gott, was die anrichten wird, wenn sie als Zeugin aussagt! Der Doktor Forster wird sie bestimmt nicht anfordern, aber der Kurator, das Gericht, du sagst es ja selber!«
Mit einem Ruck erhob Landau sich, goß wieder das Glas voll Weinbrandverschnitt, trank und sagte mit fester Stimme: »Mach dich nicht verrückt, Schatz. Soll die Alte doch sagen, es ist alles nicht wahr, sie weiß von nichts! Der Forster wird sie schon in die Zange nehmen. Da ich dauernd bei euch draußen war in dieser Zeit, das
muß
sie zugeben! Das
stimmt!
Und Lärm bei Streitereien? Na, dann hat sie eben keinen gehört. Der Forster kann sicherlich auch so gemein sein wie sie! Er kann, zum Beispiel, erwähnen, daß sie mit einem Juden verheiratet war. Ob ihr das so angenehm sein wird?«
»Trink nicht so viel. Du verträgst doch nichts, und wir sind noch nicht
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