Und Jimmy ging zum Regenbogen
Männern, die bei uns verkehrten, wobei er ständig auf seine ihm dubios erscheinende Vaterschaft anspielte … In dieser Weise führten wir viele Jahre hindurch eine Ehe, die nur eine Farce einer solchen war – Paul Steinfeld ging seinem Leben nach, ich dem meinen. Gemeinsam mit Martin Landau arbeitete ich an Volkshochschulen …«
»Das haben wir wirklich getan! Valerie, es
kann
gar nichts schiefgehen!«
»… wo wir Vorträge hielten und Kurse für Kunstinteressierte veranstalteten. So baute ich mir eine eigene Welt auf, in deren Mittelpunkt mein geliebter Junge stand …« Der Bleistift flog über das Papier. »Es war eine Erlösung für mich, als Paul Steinfeld 1938 über Nacht floh, obwohl er mich praktisch mittellos zurückließ … In dieser Situation … erwies sich Martin Landau als treuer Freund … Er bot mir sofort eine Stelle in seiner Buchhandlung an, und er wollte nun, nach dem Umbruch, auch eine Legitimierung unseres Sohnes betreiben, aber ich lehnte ab …«
»Warum?« fragte Landau.
»Die Bedingungen für Heinz waren damals günstig«, sprach und stenographierte Valerie. »Er war Ariern gleichgestellt, und ich hoffte, ihn durchzubringen, ohne die Vergangenheit aufrollen und den schweren Weg dieser Prozeßführung gehen zu müssen. Ich hoffte, den begabten Jungen einer guten Berufsausbildung zuführen und ihn zu einem wertvollen Mitglied der Gemeinschaft machen zu können …« Valerie schrieb immer schneller. »Die Entwicklung verlief jedoch ungünstig und verhinderte meine Pläne. So habe ich mich entschlossen, die schon 1938 von Martin Landau gewünschte Legitimierung meines Sohnes Heinz jetzt zu beantragen …«
Der Bleistift entglitt Valeries Hand. Die Hand fiel herab. Ein Beben ging durch ihren Körper, dann saß sie steif und starr da, ohne sich zu bewegen. Mit blicklosen Augen sah sie die vielen kleinen Schubladen des alten Schreibtisches an.
»Valerie!« Landau trat besorgt neben sie. Er schüttelte leicht ihre Schulter. Er redete hastig auf die Reglose ein: »Nicht, Valerie, nicht … bitte … Das ist doch alles großartig … Paul wäre begeistert … Er hätte es nicht so hingekriegt … Ich auch nicht … Nicht einmal der Doktor Forster … Der wird entzückt sein …
Valerie
… Valerie, sag etwas, bitte!«
Doch Valerie Steinfeld sagte kein einziges Wort, kein einziges Wort.
49
Der Schreibtisch des Teekammerls, das alte Sofa und der Fußboden waren von Papieren und Urkunden bedeckt. Urkunden und Papiere lagen auf dem Radioapparat, dem Schaukelstuhl, dem Gasrechaud. Es war einen Tag später, Sonntagabend. Valerie und Landau arbeiteten seit dem Vormittag. Sie schrieben hier und nicht bei Valerie, damit diese, wie jeden Sonntag, BBC hören konnte. Sie hatten um 13 Uhr der Sendung aus London gelauscht und danach mitgebrachten ›Eintopf‹ aufgewärmt, den beide stehend, die Teller in der Hand, gegessen hatten. Anschließend waren sie gleich wieder an die Arbeit gegangen.
Es war eine mühselige Beschäftigung. Sie mußten den lückenlosen ›Großen Ariernachweis‹ für sich erbringen.
Bei Paul Steinfeld verlangte das Gericht Klarheit darüber, daß er, seine Eltern und Großeltern ›Bluts‹- und ›Geltungsjuden‹ waren. Zum Glück hatten die Eltern ihren Sohn evangelisch taufen lassen und waren selber konvertiert, aus rein beruflichen Gründen. In Preußen gab es vor der Jahrhundertwende einen Numerus clausus für jüdische Anwälte. Paul Steinfelds Eltern stammten aus Preußen, und sein Vater war Anwalt gewesen. Zum Glück – denn die Urkunden verstorbener Juden hätten sich nach der Zerstörung sämtlicher Synagogen im Dritten Reich schwerlich noch auftreiben lassen. So konnte man sich an evangelische Pfarrämter wenden.
Die meisten Dokumente besaß Martin Landau schon von seiner Bewerbung um die Parteimitgliedschaft her. Valerie verfügte nur über jene Papiere, die Heinz einst in der Schule hatte vorlegen müssen – um danach aus der Hitler-Jugend gefeuert zu werden. Bereits die Taufscheine ihrer Großeltern besaß Valerie nicht. Sie war gezwungen gewesen, zusammen mit Landau, anhand der wenigen vorliegenden Papiere und eines großen vorgedruckten Formulars zurückzurechnen, zu überlegen und Pfarr- und Standesämter in eigener Sache anzuschreiben.
Dieses Formular war ein dicker Bogen von 60 mal 40 Zentimeter Größe, angefüllt mit liegenden und stehenden Rechtecken, Zeichen und Worten in jener gotischen Schrifttype, die das Dritte Reich so
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