Und Jimmy ging zum Regenbogen
Operateurs. Hätte dieser Mann nicht einen überkorrekten dunklen Anzug getragen, sondern einen am Hals hochgeschlossenen weißen Kittel, Gummihandschuhe und eine weiße Kappe auf dem grauen Haar – er wäre gewiß einem Sauerbruch oder einem Billroth ähnlich gewesen. Schon in den Zuchthäusern, woselbst dieser Mann elf Jahre seines Lebens verbracht hatte, war er von seinen Mitgefangenen immer ›der Professor‹ genannt worden. Tatsächlich hatte sein schwerer Beruf das Einfühlungsvermögen, die Behutsamkeit, die Konzentriertheit, die Ruhe und die absolute Meisterschaft des genialen Chirurgen von Anton Sirus verlangt.
Aus dem Rheinland stammend, lebte er seit 1965 in Bremen, einundsechzigjährig nun, ein schwerreicher Mann, ja, das konnte man sagen, ein Mann, der sein Geld für sich arbeiten ließ oder es in den Werken von Malern der berühmten ›Französischen Schule‹ anlegte. Anton Sirus war ein Verehrer der schönen Künste, und seine größte Liebe galt den Impressionisten.
Er hatte eine imposante Villa an der Findorff-Allee erworben, die den alten, exklusiven Bürgerpark entlanglief. Aus den Fenstern des ersten Stocks konnte man den Emma-See mit seinen vielfach geschlungenen Armen erblicken, das Wildgehege und die Tiere dann, den Eichenhain, die Meierei und, weit entfernt, die Rückfront des Parkhotels.
Seine Nachbarn wußten nichts von Anton Sirus. Sie hielten ihn für einen höchst erfolgreichen, properen Handelsmann, der sich zur Ruhe gesetzt hatte und sein Leben genoß – in Reichtum und Luxus, mit ausgesuchtem Personal und großem Bentley, mit Golfspiel, Reisen und mit seiner wundervollen Gemäldesammlung.
Die Bilder hingen an den Wänden eines gewaltigen Raumes im ersten Stock. Sirus hatte aus drei Zimmern eines machen lassen, das durch komplizierteste Alarmanlagen gesichert war. Hier gab es Werke von Cézanne, Picasso (aus dessen ›Blauer Periode‹), Degas, Modigliani, Gauguin, Renoir und Toulouse-Lautrec. Einige bequeme Lehnstühle standen auf dem riesigen Teppich. Die Fenster waren groß und ließen viel Licht in den Raum. Jedes Gemälde konnte zudem in raffinierter Weise einzeln elektrisch angestrahlt werden. Mehrere Stunden des Tages verbrachte der Ex-Zuchthäusler, steinreiche Mann und immer noch begnadetste Schränker Europas hier, versunken in der Betrachtung seiner Schätze, die er ständig vermehrte.
Am Vormittag des 21. Januar 1969 war er aus London zurückgekehrt. Auf einer Auktion des berühmten Kunsthauses Christie’s hatte er die Tänzerin von Degas, die nun auf dem Dreifuß stand, am 16. Januar zu einem unerhörten Preis ersteigert. Der Transport des Bildes nach Deutschland, welchen er persönlich überwachte, hatte ihn Zeit und viel Geduld gekostet.
Anton Sirus bestand sozusagen aus Geduld – im Gegensatz zu dem rosigen, blonden und dicken Willem De Brakeleer, der in einem der Lehnstühle saß und seine Nervosität kaum mehr zügeln konnte. Der ›Professor‹ verbreitete sich seit mehr als einer Stunde über Degas. Er war noch in London gewesen, als De Brakeleer in Bremen eintraf. Der Holländer hatte warten müssen. Dann war Sirus heimgekehrt. In Erinnerung an ihre bewegte Vergangenheit hatte er den Holländer zum Tee geladen, bei welcher Gelegenheit De Brakeleer seine Mission erledigen und Merciers Angebot unterbreiten konnte. Ernst, mit undurchdringlicher Miene, hatte der ›Professor‹ seinen Tee getrunken und zugehört. Doch anstatt auf die Anfrage einzugehen, war der Meisterschränker und Kunstenthusiast aufgestanden und mit De Brakeleer in sein ›Museum‹ gegangen, wo er den neuen Degas präsentierte. Der Holländer hatte nicht gewagt, Sirus’ Reden zu unterbrechen. Nun, endlich, faßte er sich ein Herz.
»Professor …« Auch die niederländische Polizei, auch Interpol, auch De Brakeleer hatten Anton Sirus jahrzehntelang mit diesem Spitznamen geehrt.
»Ja, was ist, Baas?« Sirus sah den Holländer verträumt an, langsam kehrte er aus seiner wunderbaren Welt der Kunst in die Wirklichkeit zurück. In alter, liebevoller Gewohnheit sprach er De Brakeleer immer noch so an, wie dieser von Kollegen und Kriminellen stets respektvoll tituliert worden war, mit dem holländischen Wort für ›Meister‹.
»Ich teile Ihre Begeisterung, Professor. Wirklich unvergleichlich, dieses Gemälde. Aber können wir … ich meine … wollen Sie sich nicht endlich zu meinem Vorschlag äußern?«
»Nein«, sagte Sirus.
»Was, nein?«
»Ihr Vorschlag interessiert mich
Weitere Kostenlose Bücher