Und Jimmy ging zum Regenbogen
keine Sprechstundenhilfe, und seine Haushälterin war zu Bekannten gefahren.
Valerie fragte mit geradezu unnatürlicher Ruhe: »Wären Sie bereit, uns bei meinem Plan zu helfen, Herr Doktor?«
»Frau Steinfeld«, sagte Orlam, »ich habe Angst, daß Sie sich das alles zu einfach vorstellen.«
»Zu einfach für Sie?«
»Nein, für Sie«, sagte Orlam. »Wenn Sie Ihr Vorhaben durchführen, dann wird Ihr Kind nach dem Gesetz und der Taufe, aber vor allem nach einer ganz strengen persönlichen Verpflichtung, der
Sie
sich unterwerfen müssen, das Kind Ihrer Schwester sein!«
»Das ist mir klar.«
»Ich fürchte, das ist Ihnen noch nicht klar.« Der Arzt knöpfte verstört seinen weißen Kittel auf und zu.
»Jetzt
wollen Sie es so. Aber warten Sie noch eine Weile, eine kleine Weile – bis die Muttergefühle in Ihnen richtig erwachen – wie bei jeder Frau, die ein Kind erwartet. Was wird dann sein? Und erst, wenn das Kind
geboren
ist! Wissen Sie, wie stark Ihre Liebe, Ihre Sehnsucht und Ihr Verlangen nach dem eigenen Kind
dann
sein werden? Was Sie
dann
werden tun wollen und nicht werden tun
dürfen,
ohne daß es eine Katastrophe gibt? Wissen Sie …«
»Herr Doktor«, unterbrach ihn Valerie, und ihre Stimme hob sich mehr und mehr, während sie weitersprach, »Sie haben recht, ich weiß es nicht. Ich kann es mir vielleicht nicht einmal vorstellen. Aber ich weiß, was es heißt, in Angst zu leben tagein und tagaus, ohne Hoffnung auf ein Ende! Zur Gestapo gerufen und bedroht und geängstigt und angebrüllt zu werden, jede Woche, jede Woche, immer weiter! Einen Mann verloren zu haben, der vielleicht tot ist, den ich vielleicht nie wiedersehe!« Jetzt schrie sie. »Und schon ein Kind zu haben, das der Willkür dieser Leute ausgeliefert ist, und um dieses Kind zittern zu müssen, jede Stunde, Tag und Nacht!
Das weiß ich!
Und alles, was mich erwartet, wenn ich meinen Plan ausführe, kann nicht so schlimm sein, kann mich nicht so quälen wie das, was ich schon jetzt aushalten muß! Dieses ungeborene Wesen soll nicht auch noch leiden müssen! Es soll in Frieden aufwachsen dürfen!«
»Sie sind ein gejagter Mensch, ein Mensch in Panik, ohne Schutz …«
»Können Sie das vielleicht ändern, Herr Doktor?« Valerie schüttelte den Kopf. »Nein, das können Sie nicht. Niemand kann das. Deshalb sitze ich hier vor Ihnen und frage Sie: Wollen Sie uns helfen?«
Sie bemerkte, daß ihre Schwester die Hände gefaltet hatte.
»Ich will Ihnen helfen«, sagte der alte Arzt nach einer Pause. Er sah Valerie in die Augen. Sie erwiderte den Blick ruhig. »Aber ich kann Ihnen nur eine bestimmte Strecke Ihres Weges weit helfen. Die kürzeste, Frau Steinfeld.«
»Die wichtigste«, sagte Valerie. »Nur … Villach ist eine kleine Stadt. Erschwert das nicht Ihre Hilfe?«
Orlam schob seine Nickelbrille empor. Sie glitt sogleich wieder herab.
»Ja und nein«, sagte er. »Natürlich werden wir vorsichtig sein müssen. Andererseits wissen die Leute hier, wo fast jeder jeden kennt, daß Frau Waldegg seit vielen Jahren zu mir kommt und alles versucht, um ein Kind zu empfangen. Und daß ich alles versucht habe, um ihr dabei zu helfen. Das käme uns nun zugute. Ich habe eben Erfolg gehabt mit meiner Behandlung, nicht wahr? Frau Waldegg wäre eben endlich schwanger, ich würde das konstatieren, sie würde es herumerzählen, regelmäßig weiter zu mir kommen … Sie wohnt ziemlich einsam, das ist auch gut … Ich würde ihr sagen, wie sich eine Schwangere benimmt …«
Plötzlich schien Martha vergessen zu haben, was hier vorbereitet wurde. »Wenn Sie uns wirklich helfen wollen, Herr Doktor, dann schreibe ich morgen meinem Mann, daß ich ein Kind erwarte – nein, nein, keine Sorge, die lassen ihn nicht weg von seiner Einheit. Da geht es zu wie verrückt. Er ist für viele Monate unabkömmlich, hat er mir geschrieben. Höchstens nach der Geburt des Kindes werden sie ihm ein paar Tage Urlaub geben, stelle ich mir vor …«
»Ich würde etwa im Oktober nach Villach kommen und bei meiner Schwester wohnen, um ihr beistehen zu können in der Zeit vor der Geburt«, sagte Valerie. »In Wien ist das alles zu regeln. Das haben wir schon besprochen, Martha und ich. Sie könnten mich draußen in der Fliederstraße untersuchen, Herr Doktor – offiziell natürlich meine Schwester. Der Weg in die Stadt wäre ihr dann eben schon zu beschwerlich. Sie haben einen Wagen. Und eine Entbindung zu Hause – das ließe sich doch auch machen, nicht
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