Und Jimmy ging zum Regenbogen
Vertrauen nicht. Mein Mann und Irene sollen nie die Wahrheit erfahren – das war auch Valeries Wunsch.«
Manuel blickte seine Gastgeberin an, seltsam beschämt.
»Ich werde Irene niemals ein Wort verraten«, sagte er. »Das verspreche ich.«
»Danke … Ich danke Ihnen von Herzen … Sehen Sie, ich hatte auch viel Kummer in den letzten Jahren mit ihr …«
»Kummer?«
»Nun ja … Je weiter Irene heranwuchs, desto mehr begann ich den Betrug vor mir zu verdrängen. Schließlich fühlte ich für sie wirklich wie für ein eigenes Kind … Mein Mann sowieso … Und Valerie hielt sich an unser Abkommen …«
»Danach wollte ich gerade fragen«, sagte Manuel. Jetzt rollten wieder Räder, jetzt heulte wieder eine Sirene auf dem entfernten Bahndamm, jenseits vieler kahler, tiefverschneiter Gärten. »Frau Steinfeld hat nicht den Versuch gemacht, Irene nach dem Krieg als ihr Kind zurückzuholen?«
»Nie! Sie kannten meine Schwester nicht. Die brach kein Versprechen, das sie gegeben hatte, die konnte nichts Schlechtes tun …«
Sie konnte nichts Schlechtes tun, dachte Manuel. Meinen Vater hat sie vergiftet. Und wenn er hundertmal den Tod verdiente für das, was er tat – wer gab Valerie Steinfeld das Recht, ihm das Leben zu nehmen? Gott etwa? Ach, lassen wir bloß Gott aus dem Spiel in dieser verfluchten Geschichte!
Valerie Steinfeld!
Immer noch tappe ich im dunkeln, dachte Manuel. Trotz allem, was ich nun weiß. Noch kenne ich nicht die Wahrheit. Werde ich sie kennen – jemals? Stockend sagte er: »Es muß doch eine furchtbare seelische Belastung für Frau Steinfeld gewesen sein, ihr Kind als das Kind einer anderen aufwachsen zu sehen.«
»Es war die größte seelische Belastung für sie, mir das Kind überhaupt zu geben«, antwortete die zierliche Martha Waldegg. »Aber sie hatte eine übermenschliche Selbstbeherrschung. Sie konnte immer ihre Gefühle verbergen. Nur in ihrem Innern … in ihrem Innern muß es furchtbar ausgesehen haben, sicherlich … damals, am Anfang, bei der Geburt, in den Jahren danach … Doch sie zeigte es nie, kein einziges Mal! Nie verlor sie ein Wort der Klage. Immer war sie fröhlich, wenn sie mit meiner – mit ihrer – Tochter zusammentraf, hier oder in Wien. Sie ließ sich nichts anmerken. Sie wahrte unser Geheimnis bis zum Tod. Bis zu diesem grausigen, unbegreiflichen Ende.«
»Es ist auch für Sie unbegreiflich?«
»Vollkommen, Herr Aranda. Absolut! Mein Mann und ich, wir waren wie erschlagen, als wir davon erfuhren. Es gibt einfach keine Erklärung!«
»Sie sagten vorhin, Sie hätten viel Kummer gehabt in den letzten Jahren, gnädige Frau. Wieso?«
Martha Waldegg machte eine hilflose Bewegung.
»Das Leben! Niemanden trifft die Schuld daran … Valerie ganz bestimmt nicht … Aber sehen Sie, als Irene achtzehn war und nach Wien ging, um zu studieren, da zog sie zu Valerie … und bei Valerie blieb sie dann all die Jahre, als sie in der Apotheke arbeitete, als sie das Geschäft übernahm. Die Apotheke hatte ihrem Onkel gehört, dem Bruder meines Mannes. Seine Frau war immer krank gewesen. Bei ihm hatte Irene nicht wohnen können. Sie liebte Valerie! Ich … ich wurde eifersüchtig! Es ist grotesk, ich weiß … Nun wendete sich alles vollkommen … Die beiden machten zusammen Ferien, sie verreisten … Irene kam seltener und seltener zu uns … Ihr Zuhause war mehr und mehr Wien, die Gentzgasse, Valerie … Und wir wurden ihr fremder und fremder …«
Manuel erinnerte sich an die Worte, die Irene auf dem Zentralfriedhof gesprochen hatte an dem Tage, da sie einander kennenlernten: »Valerie … Ich habe sie doch so geliebt! Mehr als alle anderen Menschen … Ja, sogar mehr als meine Mutter! Ich habe meine Mutter gern, wirklich … Aber seit ich in Wien lebte, war
Valerie
meine Mutter … mehr als die wirkliche … und sie wurde es immer stärker, immer stärker …«
Martha Waldegg hatte den Kopf abgewandt und fuhr sich über die Augen. Er fragte schnell: »Und dieser Prozeß … wie ging der aus?«
»Überhaupt nicht.« Martha Waldegg hatte sich gefaßt. Sie blickte Manuel an.
»Was heißt das?«
»Er war bei Kriegsende noch nicht beendet. Er wurde nie beendet.«
»Das sagte Ihnen Ihre Schwester?«
»Ja, Herr Aranda. Als ich sie endlich wiedersah nach dem Krieg, im Februar 1946, da sagte sie es mir.«
»Im Februar 1946? Ich verstehe nicht …«
»Im Sommer 44 wurde mein Mann verwundet. Sehr schwer. Er lag in einem Lazarett bei
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