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Und Jimmy ging zum Regenbogen

Und Jimmy ging zum Regenbogen

Titel: Und Jimmy ging zum Regenbogen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
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hoffentlich einen Mann gekannt haben – gut gekannt, etwa wie Landau –, der schon gestorben ist. Einen Arier. Es sterben viele Leute jetzt, nicht wahr? An der Front zum Beispiel. Obwohl es andererseits vielleicht besser wäre, wenn dieser Mann schon länger nicht mehr lebte. Aber die Zeugen müßten ihn noch alle gekannt haben – oder andere Zeugen jedenfalls … ich meine: Leute, die bereit sind, vor Gericht so auszusagen wie die ersten Zeugen … Dieselben Zeugen wären die besten, versteht sich …« Er sah den Rauchwolken nach. Agenten brachten ihm aus dem neutralen Ausland englischen Pfeifentabak.
    »Ein toter Vater«, sagte Nora atemlos. »Du bist großartig. Das ist die Lösung! Einen toten Mann kann man nicht mehr anthropologisch untersuchen! Von einem toten Mann kann man keine Blutgruppenuntersuchung mehr machen!«
    »Ich weiß nicht, ob das Gericht ebenso begeistert sein wird wie du.«
    »Ich will Frau Steinfeld sofort anrufen! Morgen gehe ich zu ihr in die Buchhandlung!«
    »Ich weiß nicht einmal, ob Frau Steinfeld so begeistert sein wird, Liebling«, sagte Flemming. »Sie und ihre Freunde und Bekannten. Ob die mitmachen. Ob es überhaupt jemanden gibt, der in Frage kommt, einen passenden Toten. Und was Herr Landau sagt …«
    »Den wird sie herumkriegen!« Nora suchte schon in einem Telefonbuch Valeries Anschlußnummer in der Gentzgasse. »Diese Frau kriegt alle noch einmal herum! Da ist es! B 32 4 56.« Sie begann zu wählen …

36
    »Diesen Vorschlag hat dir Nora Hill gemacht?« fragte Ottilie Landau. Sie sah blaß und erschöpft aus, die etwas zu spitze Nase trat noch auffälliger hervor, die Wangen waren eingefallen, die schmalen Lippen blutleer. Ottilie Landau konnte Hitze nur schlecht ertragen, und es war unmenschlich heiß gewesen an diesem 23. Juni 1943. Selbst der Abend brachte keine Abkühlung – schon gar nicht in der Innenstadt. Die Hitze war bereits in das Teekammerl der geschlossenen Buchhandlung gedrungen und hatte sich hier festgesetzt, unbarmherzig, nicht mehr zu vertreiben, nun, da sich einmal die meterdicken Mauern erwärmt hatten. Es sind auch zu viele Menschen hier, dachte Tilly, ihr Gesicht mit einem leicht verblichenen Spitzentaschentuch abtupfend. Valerie, Martin, Agnes, ich. Wir haben kaum Platz …
    »Ja. Nora Hill kam her und meinte, das sei das beste.« Valerie hatte dunkle Ringe unter den Augen, das Haar hing ihr in ein paar Strähnen herab. Nur dem alten Freund Martin hatte sie verraten, daß die Idee von Flemming stammte, daß dieser nun auf ihrer Seite stand – aus Gründen seiner Rückversicherung. »Ich finde den Vorschlag ausgezeichnet – unter den Umständen, meine ich.«
    »Unter den Umständen!« Martin Landau, der in dem defekten Schaukelstuhl saß, produzierte ein jämmerliches Lachen. Er hielt seit ein paar Tagen wieder den Kopf schief und die Schulter hochgezogen, auch im Sitzen. »Unter den Umständen halte ich
jeden
Vorschlag für ausgezeichnet, der verhindert, daß ich wegen Meineids angeklagt werde!«
    An diesem Abend fand Valerie bei Tilly Unterstützung.
    »Na, darauf läuft es doch hinaus!« rief diese.
    »Worauf?«
    »Wenn wir dem Gericht einen neuen Vater präsentieren, bist du entlastet!«
    Martin Landau hatte eine Nacht zuvor, von schrecklichen Träumen gequält, laut im Schlaf geschrien, die Wahrheit über das negative Ergebnis der Blutgruppenuntersuchung herausgestammelt. Tilly, erschrocken herbeigeeilt, hatte alles vernommen und den Bruder geweckt. Er war zusammengebrochen. Weinend gab er der Schwester zu, was dieser nie zweifelhaft erschienen war – nämlich, daß ihn keinesfalls intime Beziehungen mit Valerie verbunden hatten. Seine Worte waren von einer schweigsamen Tilly gehört worden. Nun wußte also auch sie Bescheid …
    »Wieso bin ich dann entlastet?« fragte Martin Landau jetzt.
    »Herrgott! Schließlich
kann
Valerie ihren Mann ja mit noch einem Mann betrogen haben, nicht nur mit dir!« Tilly benahm sich, als sei ihr die neue Entwicklung hochwillkommen. Dabei war sie voll Zorn zu der Buchhandlung gefahren, wohin Valerie alle gebeten hatte. Erleichtert dachte sie jetzt: Ich habe geglaubt, Valerie will uns noch tiefer hineinreißen in diesen Irrsinn, jetzt, wo es schiefgegangen ist – besonders Martin. Aber nein, sie hat ja einen Vorschlag, der die Sache von uns wegzieht!
    »Natürlich kann die gnä’ Frau auch mit mehr Männern …« Die kleine Agnes Peintinger, die auf dem alten Sofa saß, brach erschrocken ab.

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