Und Jimmy ging zum Regenbogen
mühsam unterdrückter Panik. »Clairon hätte sich längst melden müssen. Nummer Null auch! Längst, alle beide! Etwas ist passiert …«
Ein Mann beim Sender sagte: »Nummer Drei hat doch vorhin gemeldet, daß ein Wagen vor dem ›Ritz‹ gehalten hat und drei Männer in das Hotel gegangen sind, die Kriminalbeamte gewesen sein könnten.«
»Sein
könnten!
Sein
könnten!
Vielleicht waren die drei völlig harmlos? Nummer Drei hat auch schon die Nerven verloren! Wunder ist es keines! Kriminalbeamte – wieso denn? Die Sache war todsicher. Es konnte einfach nichts schiefgehen …« Mercier begann im Raum hin und her zu eilen. »Und es ist
doch
etwas schiefgegangen! Aber was? Aber wie? Diese Warterei macht mich verrückt!« Er sah einen Papiersack auf einem Tisch und blickte abwesend hinein. Ein niedlicher scharlachroter Spielzeug-Fuchs mit schwarz-weißer Schnauze lag darin …
Es hatte lange gedauert, bis Irene Waldegg ihre Fassung wiederfand. An Manuel geklammert, von ihm gestützt, hatte sie an Valerie Steinfelds Grab einen schweren Weinkrampf erlitten. Manuel ließ sie weinen, er wußte, er konnte nichts anderes tun. Er hielt sie fest in den Armen und strich über ihren Rücken, und sie schluchzte und bebte, und zweimal rief sie noch den Vornamen der Toten. Endlich ließ sie sich zu dem Mercedes zurückführen. In dem hohen Schnee wäre sie dabei fast gestürzt.
»Wo ist meine Brille?« fragte Irene nun, im Wagen.
»In meiner Tasche.«
»Bitte!«
Er reichte ihr die Brille, und sie setzte sie wieder auf.
»Ich kann so nicht herumlaufen. Meine Augen sind vollkommen verquollen. Sie haben es ja gesehen.«
»Ja«, sagte Manuel. Er berührte ihre Hand. Sie blickte ihn durch die dunklen Gläser an. »Wenn Sie wollen …«
»Wenn ich was will?«
»Wenn Sie wollen … ich meine, wenn es recht ist … das heißt …« Er kam ins Stottern. »Ich … ich habe Ihnen zuerst mißtraut … Ich … ich mißtraue allen Menschen hier, das ist doch nur natürlich, nicht wahr?«
Sie nickte.
»Jetzt … jetzt mißtraue ich Ihnen nicht mehr. Ich bin sicher, Sie haben Ihre Tante so geliebt wie ich meinen Vater. Ich … ich glaube jetzt daran, daß sie
beide
gute Menschen waren … Ihre Tante und mein Vater. Um so größer ist das Geheimnis ihres Todes.«
Irene schwieg.
Ich muß mit dem Hofrat Groll reden, dachte Manuel. Ich will ihm alles erklären. Er wird es verstehen, da bin ich sicher. Auch wenn er sich mein Ehrenwort hat geben lassen, daß ich nicht sprechen werde darüber. Er wird mir erlauben, diese junge Frau einzuweihen. Bis dahin will ich schweigen, natürlich. Manuel sagte: »Wollen wir zusammen versuchen, die Wahrheit zu finden?«
»Ja«, sagte Irene leise.
Er strich über ihren Arm.
Sie zog ihre Hand zurück und sah in die beginnende Dämmerung hinein. Es folgte eine lange Stille. Auch Manuel blickte nach vorn. Dann, plötzlich, fühlte er zart wieder ihre Finger auf den seinen. Er wandte nicht den Kopf, und auch sie bewegte den ihren nicht.
15
Das schwarze Fell des Baribal-Bären war an vielen Stellen schon erbärmlich schütter, an anderen gänzlich kahl. In den Pfoten hielt das knapp zwei Meter hohe, aufrecht stehende Tier einen großen Korb, und in diesem lagen bunte, fröhlich aussehende Bücher. Manuel Aranda nahm das oberste heraus. Es hieß DER GLÜCKLICHE LÖWE und zeigte auf dem Umschlag einen solchen, in leuchtenden Farben gezeichnet.
Der Riesenbär brummte, tief, laut und lange. Manuel legte das Buch in den Korb. Wieder brummte der Baribal. Wenn es stimmt, was der Hofrat mir erzählt hat, dachte Manuel, dann ist dieser Bär über hundert Jahre alt und besitzt an seinem Rücken eine kleine Kurbel, mit der sich ein Brumm-Mechanismus im Innern des ausgestopften Tieres aufziehen läßt. Seit über hundert Jahren wird dieser Mechanismus an jedem Geschäftsmorgen aufgezogen. Wie viele Kinderherzen hat er schon entzückt, dachte Manuel.
Der Baribal-Bär stand gleich neben der Eingangstür, die eine große Glasscheibe und an dieser einen uralten grünen Samtvorhang besaß und oben ein Glockenspiel, das, wenn die Tür geöffnet oder geschlossen wurde, silberhell, wohltönend und feierlich die Melodie der ersten beiden Zeilen eines Liedes ertönen ließ: ›Freut euch des Lebens, weil noch das Lämpchen glüht …!‹
Dieses Glockenspiel erklang seit nunmehr 158 Jahren, denn es befand sich über dem Eingang zu einer der ältesten Buchhandlungen Wiens. Draußen auf der Straße, im
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