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Und Jimmy ging zum Regenbogen

Und Jimmy ging zum Regenbogen

Titel: Und Jimmy ging zum Regenbogen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
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mit beschädigtem Bastgeflecht. Landau glitt in den Lehnstuhl vor dem Schreibtisch. Dieser Mann verursachte kaum Geräusche. »Oh, wie taktlos von mir! Hätte ich gleich tun müssen! Ich möchte Ihnen zu Ihrem furchtbaren Verlust mein aufrichtiges Mitgefühl aussprechen«, sagte Landau leise und fast ohne die Lippen zu bewegen, mit dem schiefen Kopf, mit dem ewigen Lächeln. Es sah gespenstisch aus. Manuel nickte nur.
    »Wir können es alle immer noch nicht fassen«, sagte Landau. Er sprach sehr leise und undeutlich: »Ich habe Frau Steinfeld seit 1921 gekannt. Achtundvierzig Jahre immerhin, stellen Sie sich das vor. Ich dachte, ich würde sie kennen wie sonst nur meine Schwester. Und nun … nun tut sie so etwas … so etwas Entsetzliches, Sinnloses …«
    »Es kann nicht sinnlos gewesen sein«, sagte Manuel.
    »Bitte?« Landau schrak zusammen.
    »Frau Steinfeld war nicht verrückt. Also kann das, was sie tat, nicht sinnlos gewesen sein. Es muß einen Sinn gehabt haben. Aber welchen?«
    »Das weiß ich nicht!« Martin Landau preßte plötzlich beide Ellbogen gegen die Platte des vollgeräumten Schreibtisches, der eine Rückwand mit zahlreichen Schubladen besaß. Auf dem Schreibtisch erblickte Manuel, während er wie gebannt die heftig zitternden schmalen Hände Landaus betrachtete, eine Unmenge von Dingen: Verlagskataloge, ein Telefonbuch, eine alte Schreibmaschine, Briefe und Rechnungen, aufgespießt auf einen antiken Dorn, einen Aschenbecher, Pfeifen, eine holländische Tabaksdose, geblich-weiß, mit verblichenen blauen Malereien, Bleistifte, Radiergummis, Federhalter, ein Tintenglas mit Klappdeckel, ein Hufeisen, ein zu einem winzig kleinen Reh geformtes Stückchen Blei, ein seltsam verkrümmtes Stück Treibholz, ausgewaschen und hell, irgendwann aus irgendeinem Meer gefischt, an irgendeinem Strand gefunden. Talismane müssen das sein, dachte Manuel. Es gab noch mehr: eine dunkle kleine Ikone, einen wasserklaren Bergkristall, ein Stück Bernstein, darin eingeschlossen ein Insekt sowie Blatt- und Blütenreste, einen kleinen schwarzen Spielzeug-Stier, ein – es ist nicht zu fassen, dachte Manuel – in völlig verblichenes Papier verpacktes Stück Seife, SUNLICHT stand darauf in grau-roter Schrift, ›1915‹ stand in graublauer Schrift an einer Ecke, ›15 Heller‹, an einer anderen; ›Gott mit Uns‹, stand am Rande. Eine Seife aus dem Jahre 1915. Eine vierundfünfzig Jahre alte Seife.
    Manuel dachte verblüfft: Dieses Stück SUNLICHT ist achtundzwanzig Jahre älter als ich!

17
    »Sie wissen nicht, welchen Sinn das hatte, was Frau Steinfeld tat. Aber Sie haben doch gewiß darüber nachgedacht?«
    »Natürlich.« Landaus Hände zitterten noch immer. Warum? dachte Manuel. Worte des Hofrats kamen ihm in Erinnerung. »Dieser Landau weiß etwas. Sie wissen alle etwas. Aber sie sagen es nicht, sie sagen es nicht …« Verflucht, dachte Manuel, er wird es mir sagen, dieser Neurotiker, dieser alte Feigling. Und wenn ich ihm die Knochen brechen muß. Er wird reden.
    »Natürlich, aha. Und?«
    »Wir denken Tag und Nacht darüber nach, Herr Aranda. Immerhin … Wir …«
    »Wer ist wir?«
    »Meine Schwester und ich. Wir wohnen zusammen, draußen in Hietzing. Im Hause unserer Eltern. Nur wir beide … Und wir reden von nichts anderem und denken an nichts anderes mehr: Warum hat Valerie es wohl getan? Immerhin … Wir finden keine Erklärung! Nicht die Spur einer Erklärung, nicht den Schatten eines Verdachts …« Er blickte zu einem alten Gasrechaud, der in einer Ecke stand. Nebem dem Rechaud befand sich ein Spülbecken mit Schutzblech und einem Wasserhahn aus Messing. Blech und Becken waren einmal weiß emailliert gewesen. Was nun noch an Emaille vorhanden war, hatte alle Farben, nur nicht Weiß. Rost war da und ein bißchen Grünspan am Gewinde des Wasserhahns. Schmutziges Geschirr lag im Becken. Altes, angebrochenes Geschirr stand auf einem Wandbord. Ein zweites Bord hing über dem Hahn, ein halbblinder Spiegel.
    »Herr Landau, Sie sagten, Sie hätten Frau Steinfeld seit 1921 gekannt. Seit 1938 hat sie hier gearbeitet – einunddreißig Jahre lang. Und da haben Sie bei allem Nachdenken keine Vorstellung, warum sie tat, was sie tat, nicht den Schatten eines Verdachtes haben Sie und Ihre Schwester?«
    »Nein, ich sage Ihnen doch, nein!« Landau flüsterte die Worte. »Denken Sie, ich würde es Ihnen nicht sagen, wenn ich etwas wüßte?«
    »Ja. Ich denke, Sie würden es mir nicht sagen. Ich denke, Sie

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