Und Jimmy ging zum Regenbogen
Gegenwart, vor der Zukunft, vor fast allen Menschen. Das mit der Schulter, dem schiefen Kopf und dem ewigen Lächeln sind Ticks von ihm. Er hat noch mehr. Zum Beispiel wäscht er sich, wie eine Verkäuferin uns erzählte, bis zu zwanzigmal am Tag die Hände.«
»Ist er verrückt?«
»Nicht mehr als wir alle. Vielleicht ein wenig wunderlich. Er mußte seine Aussage unterschreiben. Da ließ er die Feder ohne jeden Druck über das Papier gleiten. Seine Schrift ist winzig klein, fast unleserlich. Er schreibt immer so, ich habe Briefe gesehen. Wenn er spricht, kann man ihn schwer verstehen, derart leise redet er – und derart undeutlich. Das soll er auch stets getan haben. Jetzt werden seine Angewohnheiten immer stärker. Bei allen Menschen ist das so, daß sich ihre Grundanlage im Alter mehr und mehr ausprägt.«
Nun ja, da stand also einer, der mit den Jahren noch viel mehr das geworden war, was er immer dargestellt hatte. Er rieb die Hände ineinander, während er Manuel, ängstlich lächelnd, ansah. Herr Landau brauchte nicht einmal mehr Wasser und Seife für seinen Tick, dachte Aranda und sagte halblaut: »Sie können sich gewiß denken, warum ich zu Ihnen komme. Mein Vater …«
Sofort unterbrach ihn Landau, indem er erregt murmelte: »Bitte, nicht hier. Sie sehen doch, immerhin … alle diese Leute. Wenn Sie mir folgen wollen …« Er eilte schon voraus, dabei seinen Kunden zunickend, sich verneigend, Hände reibend.
Manuel folgte ihm durch den Laden zu einem Gang in einer seitlichen Bücherwand, der zu den Magazinen führte. An den Seiten gab es Regale voller Taschenbücher. Manuel schritt weiter und sah nun links einen sehr großen Raum mit mächtigen Tischen, auf denen sich Büchergebirge stapelten. Sie stapelten sich auch auf dem Boden, manchmal zwei Meter hoch. Alle Wände waren von Büchern verdeckt. Der Gang führte weiter. Manuel blickte in einen zweiten Magazinraum. Hinter diesem befand sich ein dritter. Die Magazine waren, wie das Haus, uralt, sie glichen Gewölben, mit kleinen Rundbögen als Durchlässen, und großen, weit geschwungenen, welche die Decke stützten. Rechts beim Ende des kurzen Ganges befand sich eine Maueröffnung ohne Tür. Die Mauer war einen halben Meter dick und schwarz vor Alter. Hinter der Öffnung erblickte Manuel ein kleines Zimmer, in das Martin Landau lautlos hineingeeilt war.
»Bitte, treten Sie näher, Herr Aranda«, murmelte er leise und lächelnd, die Schulter hochgezogen, den Kopf schief gelegt.
Manuel erstarrte einen Moment, als er dieses Hinterzimmer sah.
Das ›Teekammerl‹, dachte er.
In diesem Teekammerl war vor einer Woche sein Vater ermordet worden.
16
Teekammerl …
Ein Hinterzimmer wie dieses gab es in vielen Geschäften. Hier konnte man telefonieren, Freunde empfangen, Kaffee kochen, sich während der Mittagspause ausruhen, Zeitung lesen, schlafen.
Das Teekammerl war recht vollgeräumt. Es besaß keine Fenster. Auch hier waren alle Wände von Regalen verdeckt, und Bücherrücken leuchteten im Schein einer alten, grünbeschirmten Leselampe, die auf einem alten Schreibtisch stand. Rot und blau, golden und braun, grün, silbern und weiß leuchteten sie.
Neben dem Schreibtisch stand ein altes Ledersofa, abgewetzt, mit Mulden, ein paar Kissen und eine zusammengelegte Decke darauf. Manuel dachte an das Sofa in Grolls Büro. Am Kopfende des Diwans stand ein Tischchen, darauf ein großer alter Radioapparat. Tatsächlich schien der einzige moderne Gegenstand, den Manuel erblicken konnte, ein niedriges, schwarzes Telefon auf dem vollgeräumten Schreibtisch zu sein. Das war dem verängstigten Mann wohl aufgezwungen worden, die Post hatte wahrscheinlich den alten Apparat einfach abmontiert.
Einen abgetretenen Teppich gab es im Teekammerl. Auf ihm hat mein Vater gelegen, dachte Manuel. In Krämpfen. Schaum vor dem Mund. Um sein Leben kämpfend – vergebens. Das Gift war stärker gewesen. Da lag mein Vater, da stehe jetzt ich, dachte Manuel. Er mußte sich an einem Bücherbord festhalten, denn das Schwindelgefühl war nun sehr heftig. Vor dem Schreibtisch stand ein alter Lehnstuhl. In ihm hat Valerie Steinfeld gesessen, dachte Manuel, während der kleine Raum sich sanft um ihn drehte; da saß sie, die Mörderin meines Vaters, trank Cognac und telefonierte mit der Polizei. Und dann nahm sie Gift. Und dann lag auch sie auf dem Teppich, neben meinem Vater …
»Nehmen Sie doch Platz«, sagte Landau. Manuel setzte sich auf einen wackeligen Schaukelstuhl
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