Und Jimmy ging zum Regenbogen
beherrschen kannst.
»Verstehen Sie mich nicht?« fragte Valerie laut.
Sie hat etwas gesagt. Ich habe es nicht gehört, weil ich ihren Blick nicht mehr aushalten konnte und wegschauen mußte. Ich und vor einer anderen Frau wegschauen! Noch nie ist mir das passiert! Und ihre Stimme habe ich nicht gehört, weil ich so sehr mit meiner Aversion beschäftigt war.
»Ich sagte: Da gibt es zwei Werke. Das von Levy und das von Trockau.« Nun sahen sie einander wieder in die Augen. Der nächste Dialog klang wie ein Frage- und Antwortspiel, und er war es ja auch.
»Das von Trockau natürlich«, sagte Nora. »Das von Levy ist doch verboten.«
»Ja, eben. Trockau«, sagte Valerie. »Da existiert die einbändige Ausgabe 1929 …«
»Zweibändig.«
»Wie bitte?«
»Sie irren sich. Die erste Auflage war auch schon zweibändig. Ich brauche aber die zweite. 1931. Bearbeitet von Merian und Stähelin.«
Valerie Steinfeld trat langsam in die kleine Kammer und wandte Nora Hill den Rücken zu. Sie schien in den Regalen zu suchen. Den Eindruck mußte haben, wer hinter ihr stand. In Wirklichkeit hielt sie die Augen geschlossen. Ihre Hände umkrampften die Lehne eines alten Sessels vor einem vollgeräumten, alten Schreibtisch.
»Merian und Stähelin …«, sagte Valerie langsam. Der Rücken zuckte plötzlich. Nora bemerkte es. Ihr Selbstgefühl stieg wieder. Na also, dachte sie. Ein Übermensch bist du auch nicht. »Die wurden vor Monaten einmal bestellt«, fuhr Valerie gleichmütig fort. »Da habe ich sie nach vorn geholt und hier irgendwo bereitgelegt. Verkauft haben wir die Bücher dann doch nicht. Der Kunde kam nicht wieder. Aber wo sind die Bände nur?« Sie blickte, die Augen nun geöffnet, rundum.
Nora Hill trat hinter ihr in den kleinen Raum. Das ist also das ›Teekammerl‹, von dem Jack erzählte, dachte sie. Alles, wie er es geschildert hat. Der rostige Gasrechaud. Das angeschlagene Geschirr. Das Spülbecken. Rost und Grünspan am Wasserhahn. Das alte Ledersofa …
»Lassen Sie mich nachdenken«, sagte Valerie klanglos, die Bücherreihen entlangblickend. »Wo habe ich die Bände bloß hingestellt …«
Das Theater geht also weiter, dachte Nora. Es muß weitergehen. Theoretisch hätte auch ein Fremder nach dem ›Glauben der Hellenen‹ von Trockau, Bearbeitung von Merian und Stähelin, fragen können. Vielleicht war das sogar schon einmal passiert, und Landau zitterte deshalb so vor Angst, obwohl er wußte, daß da immer noch Sicherungen eingebaut waren.
»Hier ist es nicht … hier auch nicht …«
Valerie hatte, zum Teil über Möbel gebeugt und auf Zehenspitzen, einzelne Bücher aus den Reihen gezogen. Nun blickte sie Nora an, als wollte sie sagen: Man kann die Sache beenden, sprich!
»Vielleicht auf dieser Seite?« sagte Nora.
Valerie tat, als suche sie weiter.
Nora sah sich noch einmal in der Kammer um. Der abgetretene Teppich, von dem Jack erzählt hat, da ist er. Der schadhafte Schaukelstuhl, da steht er. In der Ecke der alte Ofen, rotglühend an einer Stelle. Wie laut er kollert! Von diesem Tischchen hier hat Jack mir nichts erzählt. Und auch nichts von dem Radioapparat darauf. Ein ›Minerva 405‹. Nora kannte die Type. Sieben Röhren, 1940 auf den Markt gekommen, das Stärkste und Beste, was es im Moment gab. Natürlich, von dem Radioapparat hat Jack nichts wissen können, dachte sie. Mit so einem Modell vermag man gewiß mitten in der Stadt und sogar am Tage London zu hören …
»Also ich weiß wirklich nicht, wo ich noch suchen soll … Die Bände müssen da sein, sie sind nie abgeholt worden«, sagte Valerie.
»Aber auch hier ist nichts.«
Nun war es Zeit.
»Doch, doch«, sagte Nora.
»Wo?« Das kam schwach. Jetzt war Valerie am Ende ihrer Kraft.
Nora blickte lächelnd umher und antwortete nicht.
»
Wo?
« fragte Valerie zum zweitenmal. Ihre Stimme hatte plötzlich jede Sicherheit verloren, sie vibrierte. Nora sah in Valeries Augen. Nicht länger starr und mutig waren die, ach nein, jetzt flehten diese Augen, bettelten. Bitte, bitte …
Na also, dachte Nora.
Sie sagte langsam und sehr deutlich: »Die Bände stehen vor Ihnen. Im fünften Brett von oben, links neben dem Sofa. Es ist das zwölfte und das dreizehnte Buch, von der Ecke aus gezählt.« Mit einer schnellen Bewegung trat sie vor und zog zwei schwere Bücher aus dem bezeichneten Regal. »Da, Band eins, da, Band zwei«, sagte sie und sah Valerie wieder an. Diese erwiderte den Blick unheimlich ruhig. Ihre Augen waren jetzt
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