Und Jimmy ging zum Regenbogen
stehen.
»Griechenland haben wir auch nach hinten geräumt … wird ja kaum noch verlangt … Sie müssen das Durcheinander entschuldigen … So viel Arbeit und so wenig Hilfe … Meine drei Sortimenter sind eingezogen … Ich habe nur noch einen … ist in den Magazinen …« Er rief: »Frau Steinfeld!« Und als er nicht sofort Antwort bekam, brüllte er hysterisch: »Frau Steinfeld, so machen Sie schon endlich!«
Nora lehnte sich gegen ein Bücherregal.
Valerie Steinfeld war also nicht tot.
Sie war hier.
Ich könnte diesen Kerl umbringen, dachte Nora Hill.
34
»Ich komme!« erklang eine helle, junge Stimme.
Aus dem bogenförmigen Durchgang zu einem weiteren Gewölbe, wo schwaches elektrisches Licht brannte, trat eine Frau in einem Kittel aus schwarzem Glanzstoff. Mechanisch drehte sie einen Schalter. Die trübe Beleuchtung hinter ihr erlosch. Nur der Schein der grünen Schreibtischlampe fiel auf die drei Menschen.
Schlank und mittelgroß war Valerie Steinfeld, Nora Hill hatte Fotografien von ihr gesehen. Dennoch erkannte sie die Frau nicht sofort wieder. Die Fotos waren vor Jahren gemacht worden. Auf allen Aufnahmen lachte Valerie Steinfeld, eine schöne junge Frau lachte glücklich und ausgelassen, ihr blondes Haar fiel in weichen Wellen über den Nacken und glänzte. Das tat es auch jetzt noch. Aber Valeries Gesicht hatte sich geändert.
Es sind die Augen, dachte Nora Hill, es ist der Mund. Diese blauen Augen, dieser volle Mund, sie haben seit Jahren nicht mehr gelacht, nicht mehr gelächelt. Sie sind noch immer schön, diese Augen, doch der Ausdruck, den sie zeigen, ist erschreckend. Diese Augen, dachte Nora Hill, sie können nicht mehr lachen. Sie können auch nicht mehr weinen. Valerie Steinfeld hat keine Tränen mehr.
Sehr abergläubisch, wie Nora war, wich sie, wo sie konnte, solchen Menschen aus. Sie wich den sehr Unglücklichen, den sehr Kranken und den sehr Verzweifelten aus. Sie bringen Unglück, daran glaubte Nora Hill. Sie suchte die Gesellschaft und Freundschaft der Reichen, der Glücklichen, der Mächtigen, der Sieger, nicht der Besiegten, die der Herrscher, nicht der Beherrschten.
»Bitte, Herr Landau?« Valerie Steinfeld sah den blassen Mann mit unbewegtem Gesicht an, nachdem sie mit ebenso unbewegtem Gesicht Nora kurz angesehen und den Kopf gesenkt hatte. Valerie besaß eine sehr blasse Haut.
»Diese Dame sucht …«, begann Landau mit zitternder Stimme, da ertönte draußen im Laden das Glockenspiel der Eingangstür.
Oh, die unendliche Erleichterung!
Landau dienerte, wobei das Licht der Lampe in der kleinen Kammer das Hakenkreuz auf seinem Parteiabzeichen aufblitzen ließ. »Verzeihen Sie, Fräulein. Kundschaft.« Er eilte davon. Beide Frauen lauschten kurz, wobei sie einander musterten. Valerie prüfend und ernst, Nora mit steigender Nervosität.
Achtunddreißig Jahre ist Valerie Steinfeld alt, dachte Nora Hill. Elf Jahre älter als ich. Ich halte ihren Blick schon aus, Herrgott, dieser Blick! Mit Mühe halte ich ihn aus. Jack, verzeih mir, ich bin hier im falschen Lager. Im ganz falschen. Keine Verzweifelten, keine Unglücklichen für mich. Ich muß sehen, daß ich diese Sache so schnell wie möglich hinter mich bringe. Dann verschwinde ich und sehe Valerie Steinfeld nie wieder. Es hat jeder genug mit seinem eigenen Leben zu tun. Ich interessiere mich nicht für dein Leben, dachte Nora, Valerie in die Augen starrend, ich will nicht daran teilhaben, nie, nie, nie!
»Ich suche den ›Glauben der Hellenen‹«, sagte Nora Hill.
»Aha«, sagte Valerie. Das war alles. Danach sah sie Nora weiter an, sachlich, höflich, absolut beherrscht.
Nora fühlte, wie sie wütend wurde, wütend auf sich selber, auf die Unlogik ihrer Empfindungen. Landau hatte sie für seine Feigheit verflucht. Valerie Steinfeld hätte sie dankbar sein müssen für solch beherrschte Haltung. Statt dessen fand sie diese Steinfeld unerträglich. Abgesehen von dem tiefernsten Gesicht war das leicht verstaubte Aschenputtel, das da vor ihr stand, auch noch sehr hübsch. Dies kam hinzu. Nie im Leben hatte Nora Hill eine Freundin besessen.
Bisher, dachte Nora, haben mich alle Weiber, mit denen ich zu tun hatte, entweder sofort verachtet oder sofort gefürchtet. Nun steht da eine vor mir, die tut scheinbar – scheinbar! – weder das eine noch das andere. Nun, dachte Nora, das wird sich ändern, meine Liebe, wenn ich dir alles gesagt habe, was ich zu sagen habe. Wollen sehen, ob du dich dann auch noch so
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