Und Jimmy ging zum Regenbogen
Zigarette an. Er hatte das Gefühl, daß es länger dauern werde, was immer Nora Hill in dieser Buchhandlung zu erledigen hatte. Er war ein Mann, den seine Gefühle fast nie trogen.
›Freut euch des Lebens, weil noch das Lämpchen glüht …‹ erklang silberhell die Glockenmelodie des alten Liedes, als Nora die Eingangstür öffnete und den Laden betrat. In der Buchhandlung brannte elektrisches Licht. An langen Messingstäben hingen Milchglaskugeln von der Decke herab. Soweit sie erleuchtet waren, sah man am Grund jeder Kugel Schatten – Schmutz, der sich da angesammelt hatte. Die Messingstäbe waren fleckig. Ein mächtiger Kachelofen stand im Verkaufsraum. Das Marienglas seiner Feuertür leuchtete rot.
Nora Hill schloß die in den Angeln quietschende und widerstrebende Tür – das Glockenspiel ertönte wieder –, wandte sich nach links und erblickte einen mindestens zwei Meter großen, hoch aufgerichteten schwarzen Bären, ausgestopft, mit abgeschabtem Fell. Es war ein Baribal-Bär der Art, die in Nordamerika lebt. Das prompte Rendezvous ließ Nora Hill zum erstenmal an diesem Morgen etwas besserer Stimmung werden.
33
Guter, geliebter Jack!
Einen Moment lang dachte Nora voll Rührung und Dankbarkeit an ihn. Ihre Erleichterung beim Anblick des ausgestopften Bären war außerordentlich groß. Jack Cardiff hatte ihr gesagt, daß da ein Baribal stehen würde.
»Der Bär hält einen Bücherkorb und hat einen Brummechanismus. Wenn du ein Buch aus dem Korb nimmst, wirst du ihn brummen hören«, hatte Jack Cardiff gesagt.
Wirklich, der Bär trug einen Korb zwischen den Pfoten. Wenige Bücher lagen darin. Nora nahm eines heraus. Der Bär brummte, tief und lange. Das Buch hieß ›Das wunderbare Leben des kleinen Jungen, der unser großer Führer wurde‹. Nora legte den Band zurück. Der triste Baribal mit dem schütteren Fell brummte abermals.
Noras Blick glitt durch den Verkaufsraum. Alles genauso, wie Jack es beschrieben hatte. Die Stehpulte; die Regale aus Eichenholz, an vielen Stellen leer; die hohen Leitern, samtüberzogen, an Eisenstangen befestigt, fahrbar; die Sessel; die zwei Schaukelstühle; die Registrierkasse aus Nickel; der Fußboden mit seinen dunklen, langen Bohlen, abgetreten, an manchen Stellen bucklig geworden.
Es war kein Mensch im Laden außer Nora.
»Hallo!« rief sie.
Nichts regte sich.
»Hallo!« rief sie noch einmal lauter.
Aus einem Gang in einer der Bücherwände trat ein Mann mit blassem Gelehrtengesicht, schmalen schönen Händen und sehr kleinen Füßen. Er war gut angezogen, wenn auch seltsam altmodisch. Er hatte sanfte, graue Augen und wirkte übernervös. Das ist er auch, dachte Nora, von neuem beruhigt. Jack hat mir Martin Landau beschrieben. Genau beschrieben. Alles stimmt exakt. Die linke Schulter hält dieser Landau beständig leicht hochgezogen, den Kopf leicht nach links gelegt, die blassen Lippen sind zu einem ängstlichen Dauerlächeln verzogen, und am linken Jackenrevers trägt er das Parteiabzeichen.
»Auf diesen Landau mußt du besonders achten. Er ist der schwächste Punkt in unserem Plan.«
Das hatte Jack gesagt. Wenigstens verschwiegen hatte er nichts, gelogen hatte er nicht, um sie in Sicherheit zu wiegen. Nein, Jack log nicht. Niemals. Das war einer der Gründe, warum Nora ihn liebte. Ihr Wohlgefühl beim Anblick des Baribal-Bären war verschwunden. Immer tiefer sank ihre Stimmung, als Martin Landau nun langsam und geräuschlos näher trat. Er schluckte ein paarmal und brachte kein Wort heraus.
Das fängt ja gut an, dachte Nora. Ich muß jetzt schnellstens mich sichern. Ich muß wissen, ein wie großer Feigling dieser Landau ist. Sie sagte gleichfalls kein Wort, sondern sah dem Buchhändler starr in die Augen. Sofort wich er ihrem Blick aus. Himmel, dachte Nora. Der Mann wird bald mehr standhalten müssen als dem Blick von Frauenaugen. Wenn er nicht standhält, sieht es böse aus – nicht nur für ihn.
Dieser Mann, neununddreißig ist er, Jack sagte es, hat in seinem Leben noch keine Frau umarmt, dachte Nora. Das sehe ich. Dazu brauche ich keinen Jack. Dieser Mann geht auch mit neununddreißig brav nach Hause zu seinem Schwesterchen und spielt mit sich selbst. Diesem Mann brauchen sie gar keinen Gestapokerl zu schicken.
»Der schwächste Punkt in unserem Plan …«
Herrgott, dachte Nora, was stellt Jack sich vor? Wie soll man mit einem Mann wie Landau, mit einem solchen Waschlappen von Mann, nun einen Menschen retten? Verdammt, und ich kenne
Weitere Kostenlose Bücher