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Und Jimmy ging zum Regenbogen

Und Jimmy ging zum Regenbogen

Titel: Und Jimmy ging zum Regenbogen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
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muß ich etwas wissen.«
    »Natürlich. Bitte. Fragen Sie.«
    Gräßlich, dachte Nora, jetzt in ihrer Furcht sieht sie aus wie ein geprügeltes Tier. Wo ist ihr Mut geblieben, ihre Selbstbeherrschung, ihre Überlegenheit? Ach, dachte Nora, wie wenig von all dem haben selbst die, die am meisten von all dem haben. Sie flüsterte: »Wie alt ist Ihr Sohn jetzt?«
    »Er wird siebzehn im Mai.«
    »Welche Schule besucht er?«
    »Zuerst war er auf einem Realgymnasium. Der Direktor wollte seine Schule unbedingt rein arisch haben. Heinz war der einzige Mischling. Und kein guter Schüler. Da sagten sie mir, als er in der Vierten war, sie würden ihn entweder durchfallen lassen oder ihm ein halbwegs anständiges Zeugnis geben, wenn er das Realgymnasium verließe.«
    »Und?«
    »Und da sprach ich mit ihm und fragte, was er denn gerne werden würde – es gibt doch diese Fachschulen, nicht wahr?«
    »… et quia considerabat, quod hi, qui cum pietate dormitionem acceperant …«
    »Ja.«
    »Und da sagte er, er würde am liebsten Chemiker werden.«
    »Chemiker?«
    »Ja. Heilmittelchemiker. Dafür interessiert er sich brennend. Auf der Hohen Warte steht die Staatsschule für Chemie. Mit der Mittleren Reife kann man anfangen. Vier Jahre dauert jetzt im Krieg die Ausbildung, sonst sechs. Aber sie brauchen Betriebschemiker. Dringend. Arier dürfen im Anschluß an die Staatsschule auch die Universität besuchen. Alle bekommen ein Maturazeugnis und ein Diplom. Heinz darf ja nicht auf die Universität. Aber er kann schon in zweieinhalb Jahren als Chemie-Ingenieur arbeiten. Er ist auf einmal ein guter Schüler geworden. Einer der besten! Stellen Sie sich das vor! Keine Stänkereien, kein Ärger, alles geht glatt. Und als Betriebschemiker werde ich ihn dann schon bis zum Schluß durchbringen – hoffentlich!«
    Nora neigte sich vor. »Und noch eine Frage. Sie ist ganz wichtig. Haßt Heinz seinen Vater?«
    Valeries Kopf sank auf die Brust.
    Der alte Priester las wieder aus dem großen Buch: »In illo tempore dixit Jesus turbis Judaeorum …«
    »
Na!
« drängte Nora.
    »Er haßt ihn ganz furchtbar«, antwortete Valerie unglücklich, den Kopf weiter gesenkt. »Er wußte doch lange Zeit überhaupt nicht, daß er ein Mischling ist. Er war sogar in der Hitlerjugend.«
    »
Was?
«
    »Alle seine Freunde waren da. Er wollte auch so gerne dabeisein. Ich dachte, es ist sicherer so. Ging auch alles gut, bis sie in der Schule den kleinen Ariernachweis verlangten. Da mußte ich es Heinz dann sagen …«
    »Warum weinen Sie?«
    »Ich erinnere mich … an dem Tag, an dem sie ihn hinauswarfen aus der HJ  … da hat er seinen Vater verflucht … Wir konnten ihn fast nicht beruhigen, die Agnes und ich. Agnes Peintinger – das war einmal seine Kinderfrau. Sie arbeitete schon vor seiner Geburt bei uns, und jetzt besorgt sie den Haushalt.«
    »Ich weiß alles von Agnes.«
    »Mein Mann hat über sie gesprochen, natürlich! Ja, also kaum zu beruhigen war der Heinz. Und dann hat er mich beschimpft, daß ich einen Juden geheiratet habe …« Valerie bedeckte das Gesicht kurz mit beiden Händen. »Furchtbar war das, ganz furchtbar … Er kam sich wie ein Verbrecher vor … ausgestoßen und geächtet und ein Mensch letzter Klasse – alles durch meine Schuld! Die Agnes redete auf ihn ein, noch und noch, monatelang. Da hat er angefangen, mir zu vergeben, wenn auch noch immer nicht ganz, nein, nicht ganz … Aber seinen Vater, den haßt er wie die Pest … Ist das nicht schrecklich?«
    »Schrecklich? Wunderbar ist das!«

41
    Nackt, vollkommen nackt lag Nora Hill auf dem zerwühlten Bett, die Augen leuchtend, die Arme unter dem Kopf verschränkt. Das Bett war groß und stand im Schlafzimmer von Jack Cardiffs eleganter Wohnung an der breiten Avenida da Liberdade, nahe dem großen Praca do Marquês de Pombal, dem Platz, in dessen Mitte sich ein Denkmal des Marquês erhebt, der Leitender Minister König Josephs I . und ein großer Reformer gewesen ist. Sonne schien in den Raum, Geräusche von Autos und Menschen drangen aus der Tiefe empor, und es war sehr warm in Lissabon an diesem Nachmittag des 3. Oktober 1942. Am Abend startete Noras Flugzeug. Doch sie hatte noch Zeit, ein paar Stunden hatte sie noch Zeit. Ihre Koffer im Hotel ›Aviz‹, in dem sie immer abstieg, waren schon gepackt.
    Aus dem Wohnzimmer kam Jack Cardiff. Er hatte einen grauseidenen Morgenrock angezogen und schob eine kleine Bar auf Rädern vor sich her. Nora sah ihn glücklich an,

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