Und Jimmy ging zum Regenbogen
sie. »Jetzt noch Wasser. Kaltes. Um das Blut wegzuwaschen.« Valerie eilte in das Teekammerl zurück. Nora stand auf. »Ich bin sofort da!«
Sie rannte in den Laden und zur Eingangstür. Die Augen unmittelbar über dem grünen Vorhangsaum, sah sie noch einmal aufmerksam die Seilergasse entlang, in jedes Haustor, das sie erblicken konnte, bis hinauf zur Ecke des Neuen Marktes. Sie lief zurück zu dem leise jammernden Landau, bei dem Valerie kniete, neben einer Schüssel mit Wasser.
»Richten Sie sich auf«, sagte Nora. Er folgte stöhnend. »Da ist kein Mann mit Homburg und blauem Mantel.«
»Doch.«
»Nein, Herrgott!« Die Angst! Die Angst ließ sie grob werden.
»Dann versteckt er sich. Ich habe es nicht mehr ausgehalten, dieses Herstarren von ihm. Darum habe ich die Tafel ›Komme gleich‹ hinter das Türglas gehängt und bin raus und habe hinter mir zugesperrt und …«
»Nehmen Sie das Taschentuch weg!«
Er nahm es weg. Er hatte nur eine Platzwunde, aber eine ziemlich große. Nora begann, ordentlich Jod daraufzupinseln. Er jaulte laut auf vor Schmerz.
»Reißen Sie sich zusammen!«
»Und dann … Was hast du dann gemacht, Martin?« fragte Valerie, bleich und leise.
»Ich bin die Seilergasse hinuntergegangen …
au!«
»Stellen Sie sich nicht so an! Und?«
»Und der Mann mit dem Homburg blieb stehen und schaute mir nach … Ich ging um den Block und kam von der Spiegelgasse wieder zurück, durch den Hof und den Magazineingang …«
»Warum hast du dich bloß so angeschlichen? Warum hast du nicht gehustet oder dich sonst bemerkbar gemacht?« fragte Valerie.
Nora hatte ein schlechtes Gewissen. Sie fühlte sich elend. Was habe ich da angerichtet, dachte sie beschämt. Und sofort: Wie komme ich jetzt weg? Wenn es stimmt, was Landau sagt, ist der Mann noch da, wer immer das ist. Wo? Er ist beim Eingang stehengeblieben, sagt Landau. Aber da sehe ich ihn nicht. Das beweist nichts. Er kann sehr leicht trotzdem da stehen, auf der anderen Straßenseite zum Beispiel. Oder der Mann ist Landau nachgegangen. In diesem Fall steht er beim Hintereingang oder in der Spiegelgasse.
Nora hörte voll Scham und Furcht, was Landau stammelte: »Ich war ganz außer mir vor Angst … Immerhin … Ich wußte nicht mehr, was ich tat … Ich dachte, wenn ihr mich plötzlich hört, dann fängst du an zu schreien, und der Mann draußen …«
»Sitzen Sie aufrecht.« Nora begann, Landau einen Stirnverband anzulegen. Er stöhnte laut.
»Weg! Weg! Weg!« schrie er plötzlich und trommelte mit beiden Fäusten auf den Boden.
»Martin … Martin, bitte … wir waren noch nicht fertig … Fräulein Hill muß mir noch etwas sagen, etwas ganz Wichtiges …«
»Aber nicht hier!«
»Eine Nachricht von Paul!«
»Dann geh mit ihr, verflucht!«
»Wohin? Wohin denn, Martin? Jetzt am hellen Tag!«
»Das ist mir egal!« Er schleuderte das blutige Handtuch fort, erhob sich torkelnd, taumelte in das Teekammerl hinein und ließ sich auf das Ledersofa fallen, dessen Spiralen krachten. »Aaah! Mein Kopf! Also was ist – gehen Sie endlich?« Er griff nach dem altmodischen Telefonhörer.
»Martin!« rief Valerie. »Du wirst doch nicht …«
»Und ob ich werde! Sofort werde ich! Ich lasse mir immerhin mein Leben nicht versauen wegen so einer!«
Nora und Valerie sahen sich an.
»Das hat keinen Sinn«, sagte Nora.
»Aber Sie können nicht … Sie müssen mir doch noch …« Valerie klammerte sich an sie. »Ich weiß etwas!« Valerie holte Atem. »Die Stephanskirche! Keine zwanzig Minuten von hier!«
»Stephanskirche, ja«, sagte Landau. Er nahm die Hand vom Hörer. »Geht da hin. Da wird jetzt kaum ein Mensch sein. Dunkel ist es auch. Über den Hof und die Spiegelgasse. Wenn ihr fort seid, gehe ich auch noch einmal herum und sperre vorn wieder auf. Und wenn der Mann mit dem Homburg kommt und nach euch fragt …«
»Der kommt nicht, seien Sie ruhig, Herr Landau.«
Nora war jetzt fest entschlossen, die beiden ihrem Schicksal zu überlassen. Sie hatte genug. Mehr als genug. Laß mich hier heil rauskommen, lieber Gott, dachte sie, verzeih, daß ich immer nur in solchen Lagen an dich denke, und hilf mir.
»Und wenn er immerhin doch kommt, dann erzähle ich ihm, daß ich gestürzt bin … und die Hausmeisterin von der Spiegelgasse mich verbunden hat … Nein, das geht doch alles nicht!« Landau war schon wieder völlig verzweifelt. »Und das Blut hier? Und wo bist du, Valerie? Und wo ist das Fräulein, wenn der Mann es
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