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Und Jimmy ging zum Regenbogen

Und Jimmy ging zum Regenbogen

Titel: Und Jimmy ging zum Regenbogen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
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Hauptaltar hatte man ebenso entfernt wie die wertvollsten Gemälde, Plastiken, Reliquien und Flügelaltäre von Sankt Stephan. Sie befanden sich an zahlreichen Orten des Großdeutschen Reiches, tief unter der Erde, in der trockenen Luft von Salzstollen, ›verlagert‹, wie das hieß. Bei einem Luftangriff konnte auch der Dom getroffen werden.
    Schatten bewegten sich durch die riesige Kirche, Schuhe schlurften, Frauen und Männer wanderten umher, standen still, in Gebete versunken. Sie waren nur als Silhouetten zu erkennen.
    Allein die Katharinenkapelle wurde warm erhellt vom Licht vieler Kerzen. Blumen lagen hier vor dem Altar, nach Weihrauch duftete es, und der hagere alte Priester, unterstützt von einem pickelgesichtigen, eifrigen Ministranten, betete vor einer schwarz gekleideten alten Frau, die in der ersten Bankreihe der Kapelle stand.
    »… refrigerii sedem, quietis beatudinem …«
    Eine Messe ›In Anniversario Defunctorum‹ ist das, dachte Nora Hill, ich erinnere mich. Das war ein streng katholisches Heim, wo man mich erzogen und verführt hat. Messe zum Jahrestag des Todes eines Herrn Alois Zwerzina. Das da vorne ist gewiß seine Witwe, möglicherweise seine Schwester oder seine Mutter. Auf jeden Fall recht spät für eine solche Messe, der Priester muß schließlich nüchtern sein. Nun, vielleicht kommt sie von weit her, die kleine Frau, und vielleicht kennt sie die Herren von Sankt Stephan gut. Sie sieht wohlhabend aus. Vielleicht hat der Priester auch schon gefrühstückt.
    »… et luminis claritatem …«
    Nora Hill saß in der letzten Bankreihe vor dem Seitenaltar, neben einer Säule, die gewiß zwei Meter Durchmesser hatte. Sie drückte sich an den kalten Stein. Hier, wo sie saß, war es fast dunkel.
    »… per Dominum nostrum!«
    Hell läutete der Ministrant ein Glöckchen.
    Der Priester wandte sich dem Altar zu und kniete nieder, neben ihm der Junge. Die alte Frau kniete nieder. Nora zögerte, dann glitt auch sie vom Sitz.
    Wieder das Glöckchen.
    Automatisch tat Nora, was die alte Frau tat: Sie neigte tief den Kopf und bekreuzigte sich. Der Priester betete. Ich will verflucht sein, wenn ich sagen könnte, warum ich nun doch hergekommen bin, dachte Nora Hill. Noch als ich den Graben erreichte, war ich fest entschlossen, Valerie Steinfeld niemals wiederzusehen. Ich hatte mich schon nach links gewandt, um zu Carl Flemming zu eilen. Da, plötzlich, drehte ich mich um und lief hierher. Ich will verflucht sein, wenn ich nicht eine dusselige Gans bin, der nicht zu helfen ist, dachte Nora Hill zornig.
    Die alte Frau und Nora Hill setzten sich wieder.
    Weit entfernt, auf der andern Seite des Mittelgangs, im Schatten eines Baugerüsts, stand der Mann in dem blauen Mantel, reglos. Den blauen Homburg hatte er abgenommen. Seine Blicke waren unablässig auf Noras Rücken geheftet. Nun glitten sie seitlich. Eine zweite Frau, in einem grauen Stoffmantel, Kopftuch über dem Haar, die offenbar schon längere Zeit im Kirchenschiff umhergewandert war, hatte, wie es schien, endlich gefunden, was sie suchte. Leise und mit langsamen Schritten ging sie auf Nora Hill zu, glitt in deren Bankreihe, setzte sich dicht neben sie.
    Der Mann im blauen Mantel hatte ein hageres, hungrig wirkendes Gesicht, stechende dunkle Augen, zusammengewachsene Brauen und kurz geschnittenes dunkles Haar. Er trat noch mehr in den Schatten des Gerüsts. Seine Augen verengten sich zu Schlitzen, als er sah, wie die beiden Frauen miteinander zu flüstern begannen.

40
    Der Ministrant trug feierlich ein großes Meßbuch herbei und legte es aufgeschlagen vor den Priester hin. Dieser begann zu lesen: »In diebus illis: Vir fortissimus …«
    »Gott sei Dank«, flüsterte Valerie. »Ich konnte Sie nicht finden … bin durch die ganze Kirche geirrt … hatte schon eine wahnsinnige Angst, daß Sie es sich überlegt haben und nicht mehr hierhergegangen sind, nach allem, was passiert ist. Aber nein, eine Frau wie Sie hält Wort! Wären Sie sonst überhaupt in die Buchhandlung gekommen? Sie sind ein guter Mensch.«
    Nora wandte den Kopf. Wenn sie etwas haßte, dann waren es Leute, die ihr aus nächster Nähe direkt ins Gesicht sprachen. Hier ließ sich das nun nicht verhindern. Oh, merde, dachte Nora, warum bin ich bloß wirklich hierhergegangen, ich Idiotenweib, warum?
    »… offeri pro peccatis mortuorum sacrificium, bene et religiose de resurrectione cogitans …«
    »Was haben Sie mir noch zu sagen, Fräulein Hill?«
    »Keinen
Namen!
Zuerst

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