Und keiner wird dich kennen
rational.«
»Ein Kopfmensch«, sagt Maja bitter. Nicht immer mag sie das an sich.
»Du weißt, was real ist und was nicht. Und du weißt, was Angst ist, das haben wir gemeinsam.« Stella hebt den Blick wieder. Unvermittelt wechselt sie das Thema. »Die Kifferei damals war nicht meine Idee. Ben hat das Zeug von einem Freund bekommen und er wollte es unbedingt ausprobieren. Wir saßen in Bens Haus, lachten und quatschten und rauchten dieses Zeug, durch das die Welt ziemlich seltsam und lustig wirkte, und dann ...«
Wieder bricht Stella ab. Sie dreht den Jadering in der Hand und holt tief Luft. »Dann wurde mir schlecht und ich ging heim. Ich glaube, Ben merkte das gar nicht richtig, er war viel zu high. Als ich daheim war, spürte ich die Übelkeit kaum noch, deshalb bin ich direkt ins Bett. Doch nun ging es erst richtig los – ich habe gehört, wie andere Menschen, die gar nicht im Raum waren, über mich sprachen und sich über mich lustig machten. Und ein Lautsprecher hat meine eigenen Gedanken laut hinausposaunt.«
Maja nickt nur, sie will Stella nicht unterbrechen.
Stella fährt fort: »Aber noch schlimmer war das Gefühl, dass die Leute mir meine Gedanken stehlen wollten. Ich wusste genau, dass ich verfolgt werde und dass die es auf meine Gedanken abgesehen haben.«
Unwillkürlich blickt Maja hoch, zum Salvador-Dalí-Bild über Stellas Bett. Dem schwebenden Auge, ihrem Beschützer. »Was hast du gemacht?«
»Ich bin aus der Wohnung geflohen. Rannte einfach halb nackt raus. Die Polizei hat mich schließlich aufgelesen – ich hatte furchtbare Angst, weil überall auf der Straße weiße Spinnen herumliefen ... zu Hunderten krabbelten die über den Asphalt und an den Straßenlaternen und an mir hoch ...«
»Wie gruselig.« Maja schaudert es im Nachhinein, sie kann sich lebhaft vorstellen, dass Stella da in Panik geraten ist.
»Na ja, wie sich herausstellte, war es ein psychotischer Schub, ausgelöst durch den Joint. Nach vier Wochen durfte ich endlich raus aus der Klinik.«
Maja erinnert sich – eigentlich hat Stella behauptet, Bens Freundin sei immer noch dort. »Musstest du seither noch mal hin?«
Stella nickt. »Das erste Medikament, das ich bekommen habe ... das Zeug war die Hölle. Ich hatte gar keine Gefühle mehr, sämtliche Emotionen waren einfach weg. Bin mir vorgekommen wie ein Roboter. In dieser Zeit ist auch die Liebe zu Ben einfach verloren gegangen. Weg. Na ja, irgendwann habe ich aufgehört, die Medikamente zu nehmen, und prompt hatte ich noch einen psychotischen Schub. Bin aus der Schule gerannt, weil ich wieder das Gefühl hatte, jemand will meine Gedanken stehlen. Später haben sie mir gesagt, ich hätte wirres Zeug geredet.«
»O Mann, wie peinlich!«, entfährt es Maja.
Stella nickt und verzieht das Gesicht. »Genau. Danach wussten es auch alle in meiner Klasse. Redet aber keiner drüber. Nett von denen, oder?«
»Wie groß ist die Gefahr ... dass du noch mal so einen Schub bekommst?« Maja ist halb erschrocken, halb neugierig.
»Solange ich die Neuroleptika nehme, gering. Aber ich muss das Zeug noch jahrelang schlucken, vielleicht für den Rest meines Lebens, sonst geht der Horror wieder los.«
»Krass!« Jetzt weiß Maja auch, was Stella neulich so schnell in der Schublade ihres Nachttischchens versteckt hat. Ihre Medikamente. »Und das alles von einem einzigen Joint?«
Stella stöhnt. »Ja. Andere bekommen es, weil sie zu viel und zu oft gekifft haben – dass es mir gleich beim ersten Mal passiert ist, war wohl einfach Pech, hat der Arzt gesagt. Immerhin, nach ein paar Monaten war ich fast wieder so drauf wie vor der ganzen Sache. Das Schuljahr musste ich natürlich trotzdem wiederholen.«
Nachdenklich schweigt Maja. Kein Wunder, dass Stella sich von Ben getrennt hat. Erst bringt er das Zeug mit, und dann lässt er sie auch noch im Stich, lässt sie allein heimgehen, obwohl es ihr schlecht geht ... mich hat Stella nie allein heimgehen lassen!
»Es ist komisch, nicht wahr, aber irgendwie habe ich an dir gespürt, dass du diese fiese Angst kennst«, sagt Stella leise.
»Wieso hast du mir das alles nicht früher erzählt?« Maja will jetzt nur noch eins, ihre Freundin in die Arme nehmen. Und das macht sie auch gleich. Stella fühlt sich dünn und zerbrechlich an, aber tief in ihr spürt Maja die unbändige Energie.
»Ich hatte Angst davor, was du dann über mich denkst.«
Plötzlich muss Maja lachen. Keine Ahnung, warum. Vielleicht, weil sie beide Geheimnisse
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