Und morgen bist Du tot
sie uns manchmal die ganze Nacht.«
»Sind es die, die das Baby holen wollten?«
Er schüttelte den Kopf, nahm eine krumme Kippe aus einer Dose und zündete sie an, wobei er das Baby mit dem anderen Arm sanft hin und her wiegte. »Nein, nicht die. Sie haben eine Art Spezialeinheit gerufen.«
»Ich habe von einem guten Ort gehört, viel Platz, beim Heizrohr«, sagte Simona.
Er zuckte gleichgültig mit den Schultern. »Wir kommen schon klar.«
Sie hatte diese Gruppe nie so recht verstanden. Sie waren nicht anders als sie selbst und besaßen auch nicht mehr. In mancher Hinsicht war sie sogar besser dran, weil sie wenigstens eine Art Zuhause hatte. Diese hier waren richtige Nomaden. Sie schliefen, wo immer sie konnten – in engen Gassen, unter den Markisen der Geschäfte oder draußen im Freien, wo sie sich eng aneinanderdrängten, um sich zu wärmen. Sie wussten von den Heizrohren, gingen aber nie hin. Das konnte sie nicht verstehen, aber sie verstand vieles nicht.
So wie den Mann, der mit Einkaufstüten beladen auf sie zukam. Den Mann, den sie am Süßwarenstand gesehen hatte. Er war mittleren Alters und hatte ein glattes Lächeln, das sofort ihr Misstrauen erregte.
»Ihr seht hungrig aus, also habe ich euch etwas zu essen gekauft«, sagte er und streckte ihnen mit strahlendem Lächeln die Tüten entgegen.
Plötzlich drängten alle an ihr vorbei und schnappten wie wild nach den Süßigkeiten. Der Mann schaute zufrieden zu. Er war stämmig gebaut, hatte ein freundliches, kultiviert wirkendes Gesicht und gepflegtes Haar. Sein weißes Hemd mit dem offenen Kragen, die braune Jacke, die dunkelblaue Hose und die glänzenden Schuhe sahen teuer aus, aber sie fragte sich, weshalb er an einem so kalten Abend keinen Mantel trug. Gewiss konnte er sich einen leisten.
Er behielt nur eine Tüte zurück und wartete, bis sich der Andrang gelegt hatte. Alle inspizierten den unerwarteten Segen, der auf sie niedergegangen war. Die letzte Tüte reichte er Simona. Sie spähte hinein und entdeckte einen wahren Schatz an Süßigkeiten und Keksen.
»Bitte, bediene dich. Nimm die ganze Tüte. Sie gehört dir!« Er schaute sie eindringlich an.
Sie nahm einen Mars-Riegel aus der Tüte, riss die Folie auf und biss gierig hinein. Er schmeckte gut. Unglaublich gut! Sie biss wieder und wieder hinein, als hätte sie Angst, jemand könnte ihr den Schokoriegel entreißen. Sie stopfte sich das letzte Stück in den Mund, der so voll war, dass sie kaum noch kauen konnte. Wieder schob sie die Hand in die Tüte und holte einen mit Schokolade überzogenen Keks heraus, den sie ebenfalls auspackte.
Plötzlich entstand Unruhe. Sie spürte einen schmerzhaften Schlag an der Schulter und schrie entsetzt auf. Sie fuhr herum und ließ die Tüte auf den Boden fallen. Hinter ihr stand ein Polizist mit erhobenem Schlagstock, das Gesicht hasserfüllt verzerrt. Er wollte wieder zuschlagen. Sie hob die Hände und spürte einen heftigen Schlag am Handgelenk. Sicher war es gebrochen. Und er holte schon wieder aus.
Plötzlich waren sie von Polizisten umgeben, sieben oder acht, vielleicht auch mehr.
Sie hörte ein lautes Krachen und sah Tavian zu Boden gehen.
»Mein Baby, mein Baby!«, kreischte Cici.
Ein Schlagstock traf sie mitten auf den Mund, dass ihre Lippen aufplatzten und Zähne abbrachen.
Plötzlich ergriff jemand Simonas Hand und riss sie nach hinten, weg von den Polizisten. Sie drehte sich um und sah den Mann, der ihnen die Süßigkeiten gebracht hatte. Ein großer, knochiger Polizist mit spitzem Rattenmund schwang seinen Schlagstock, als wollte er sie beide treffen, und brüllte laut. Der Mann zog ein Bündel Geldscheine aus der Jackentasche.
Der Polizist nahm das Geld und winkte sie davon, bevor er sich wieder den anderen zuwandte und den Stock mit einem entsetzlichen Laut auf einen Rücken niedersausen ließ. Wen es traf, konnte Simona nicht erkennen.
Völlig verwirrt starrte sie den Mann an, der wieder an ihrer Hand zerrte.
»Schnell! Ich bringe dich weg von hier.«
Sie schaute ihn zweifelnd an, da sie nicht wusste, ob sie ihm trauen konnte. Dann blickte sie zu dem Handgemenge, sah Cici auf dem Bahnsteig knien und hysterisch schreien, wobei ihr das Blut aus dem Mund floss. Ihr Baby war weg. Die Straßenkinder lagen am Boden, blutüberströmt, und der Hagel der Schlagstöcke wollte nicht enden. Die Polizisten lachten. Sie hatten ihren Spaß.
Für sie war es ein Sport.
Kurz darauf lief sie die Treppe zum Haupteingang hinunter, die Hand noch
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