Und morgen seid ihr tot
erkennt. Wer ist das? Wo ist Daniela? Er greift nach dem Messer, das er, in der selbst gefertigten Scheide aus Pappe, unter dem Hemd versteckt hat.
Als er hinter dem Baum hervorspringt, bereit, sich zu verteidigen, bereit, Dumbo zu töten, erkennt er mich.
»Daniela, mach die verdammte Lampe aus, bist du verrückt?«, zischt er. Aber ich will das Licht nicht ausschalten. Ich stürze ständig über Geröllbrocken und meine eigenen Füße. Meine Hände sind verschrammt, meine Ellbogen schmerzen. Ich will sehen, wohin ich trete. Er reißt mir die Taschenlampe aus der Hand und marschiert weiter. »Komm, wir dürfen hier keine Zeit verlieren.« Ich versuche ihm zu folgen, doch im Dunkeln hat er genau dieselben Probleme wie ich. Er rutscht aus und fällt zur Seite, stürzt auf die Taschenlampe, deren Gehäuse zerspringt. Sie ist demoliert, funktioniert aber wie durch ein Wunder noch. Wir gehen über die kleine Ebene. In Dumbos Haus hinter uns ist alles dunkel, aber das hat nichts zu bedeuten, denn es gibt keinen Strom, und Kerzen kennen die Taliban nicht. Einmal versammelte sich Dumbos Familie staunend um die Dusche, nachdem ich darin eine blaue Kerze angezündet hatte. Alle betrachteten fasziniert das Flackern der Flamme, den Schein an den Wänden und konnten nicht begreifen, wie ein so dünner Docht dieses Feuer halten konnte. Sie fragten mich, ob das Plastik sei, das so schön brennt.
Zwei-, dreihundert Meter, dann endet die Hochebene, und wir müssen den Hang hinuntersteigen. Die Hügel, die vor uns liegen, sehen einander zum Verwechseln ähnlich. Wie Schokoküsse ragen sie in den Nachthimmel. Wo liegt die Militärbasis? Kein Wachturm, kein Scheinwerfer, keine Antenne hebt sich von den Silhouetten ab. Haben wir die Orientierung verloren? Haben wir die Bilder, die wir vom Auto aus aufgeschnappt haben, falsch zusammengefügt? Aber wenn wir umkehren, laufen wir unseren Verfolgern in die Arme. Wir brauchen für den Abstieg etwa eine Viertelstunde. In unserer Aufregung rutschen und fallen wir mehr, als dass wir gehen.
Im Tal ist eine Schotterstraße, die wir jedoch nicht benutzen wollen. Zu groß ist die Gefahr, dass man uns entdeckt. Ich drehe mich nicht um, frage David ein ums andere Mal: »Sind sie hinter uns her?«
»Ich weiß es nicht«, flüstert David, »wir müssen nur leise sein und die Taschenlampe auslassen, dann finden sie unsere Spur nicht.« Er sagt mir, was ich hören will. Wir lauschen in die Nacht. Führt die Schotterpiste, die vor uns liegt, vielleicht doch zur Militärbasis? Wir gehen eine Weile auf der Fahrbahn, doch dann tauchen plötzlich rechts von uns Autoscheinwerfer auf. Sie fressen sich durch die Finsternis, springen über die bizarren Silhouetten der Felsen, Kaktusgewächse und Sträucher. Sie sind schon so nah, dass wir uns nicht mehr ins Gelände flüchten können. Wir erkennen das Warnblinklicht, mit dem der Wagen unterwegs ist, das typische Zeichen für einen Taliban-Wagen. Eine gewöhnliche Patrouille? Oder ist es das Kommando, das uns sucht? Die Scheinwerfer werden größer, gleiten über unsere Köpfe hinweg. Wir müssen von der Straße verschwinden, aber wir sind auf einem Steilstück, rechts unter uns ist eine Stützmauer, links geht es fast senkrecht den Berg hinauf. Das Auto ist jetzt über uns, wir hören den Motor brummen, die Reifen prasseln auf dem Schotter wie auf Kartoffelchips. David ist ins Geröll gestiegen, wirft seinen Sack auf den Boden und legt sich flach darüber. Die Scheinwerferkegel schwenken über die Fahrbahn, der Lichtschein hebt sich in meine Richtung, ich springe von der Straße, die kleine Stützmauer hinunter und ducke mich hinter einen Kaktus. Davids Sachen sind schwarz, meine braun, aber reicht das als Tarnung in dem sandfarbenen Geröll? Zwei Meter über mir rollt der Wagen vorbei, ich höre Musik und Männerstimmen aus dem offenen Seitenfenster. Sie scheinen mich nicht gesehen zu haben. Dann erkenne ich im Licht der Scheinwerfer eine 180-Grad-Kurve, ich liege genau in der Beuge! Das Auto kommt durch den Scheitelpunkt der Kurve, die Scheinwerfer beschreiben einen Halbkreis, und dann blenden sie mich. Ich bin voll im Licht, das Auto fährt auf mich zu.
Ich denke an all die Monate zurück, die Liegestützen, Sit-ups, ich denke an all die Runden, die wir gelaufen sind, an die Dehnübungen, die Gedächtnisübungen, mit denen wir uns fit halten wollten. Ich denke an die Säcke, die wir uns genäht, die Wasserflaschen und Fladenbrote, die wir gehortet haben,
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