Und Nachts die Angst
seufzt. »Ich bin nicht besonders weit weg, schätze ich, höchstens ein paar Meilen, aber ich fürchte, ich stecke im Stau.«
»Ein Unfall?«
»Sieht so aus. Ich kann nicht besonders viel erkennen, aber …«
»Sehen Sie irgendwo Straßenschilder? Vielleicht kann ich helfen.«
Reeve sieht in einiger Entfernung eine Ausfahrt. Sie hadert einen Moment mit sich, dann antwortet sie. »Ich sehe weiter vorne ein Schild. Turnbull Ferry Road.«
Er erklärt ihr, dass sie nicht weit vom Haus der Hills weg ist, vielleicht fünfzehn, zwanzig Minuten Fahrt. Während sich der Verkehr vorwärtsschiebt und wieder ein bisschen schneller wird, fährt er fort: »Könnten Sie uns ein paar Minuten Ihrer Zeit schenken? Wenn Sie nur mal mit ihr reden könnten, ihr vielleicht sagen, dass sie irgendwann wieder in Ordnung kommt, dann wäre uns schon viel geholfen.«
Reeve erscheint es unmöglich, nein zu sagen.
»Also – wo sind Sie jetzt?«, fragt er.
»An der Ausfahrt. Da ist ein Schild von Johnny’s Mini-Mart.«
»Okay. Ich weiß, wo das ist. Von da aus ist es kein Problem, Sie sind nur ein paar Meilen entfernt.«
Er erklärt ihr detailliert, wie sie fahren muss, und sie legt auf. Vielleicht hat Dr. Lerner ja recht und sie ist besonders befähigt, Entführungsopfern zu helfen. Vielleicht sollte sie auf ihn hören, wieder aufs College gehen und endlich ihren Abschluss machen, wie ihre Mutter es sich gewünscht hat. Vielleicht gibt es tatsächlich eine Möglichkeit, aus ihrer elenden Vergangenheit etwas Gutes zu machen.
Eine halbe Stunde später überquert Reeve eine Brücke und fährt in Richtung Nordosten auf einen sich verfinsternden Himmel zu. Sie folgt eine Weile einem alten Highway, fährt dann ab und biegt auf eine zweispurige Landstraße, die an Bahngleisen entlangführt. Sie fährt langsam und überprüft an jedem Stoppschild die Karte auf ihrem Handy. Als sie nach rechts auf den Riverside Drive abbiegt, öffnet sich der Himmel, und der Regen prasselt herab. Die Scheibenwischer arbeiten heftig, und sie versucht, einen Blick auf den Fluss zu erhaschen, der irgendwo hinter den gutbürgerlichen Häusern mit den gestrichenen Zäunen und den gepflegten Rasen vorbeiströmen muss.
Ein Stück weiter machen die hübschen Standardhäuser älteren, individuelleren Bauten Platz, die sich am Ende langer Auffahrten hinter altem Baumbestand verstecken. Hier gibt es keine Laternen, und der Fluss, der am Rand der Karte auf dem Display erscheint, ist noch immer unsichtbar.
Ihre Scheinwerfer blenden auf dem nassen Straßenpflaster, und sie muss einem herabgefallenen Ast ausweichen. Wieder sieht sie auf Karte und Adresse und schätzt, dass sie gleich da ist.
Sie beschließt, höchstens eine Stunde bei den Hills zu bleiben, ihnen ihre volle Aufmerksamkeit zu widmen, sich dann zu entschuldigen und zurück auf den Freeway zu fahren. Die Fahrt nach Hause ist lang, und sie ist so müde, dass sie sich jetzt schon Sorgen macht. Sie wird nicht vor Mitternacht zu Hause ankommen. Und die Vorstellung, nachts und im Regen viele Stunden zu fahren, behagt ihr gar nicht.
Die Hills werden das verstehen. Sie wird ihnen sagen, dass sie ihrem Vater versprochen hat heimzukommen.
Ein Stück weiter vorne verengt sich die Straße. An den Zäunen blättert die Farbe ab, und die gepflegten Rasenflächen weichen verwildertem Gestrüpp, dichtem Buschwerk und hohen Nadelbäumen. Der Fluss ist noch immer nicht zu sehen, die wenigen Straßenschilder sind von Einschüssen durchlöchert.
Endlich findet sie die Adresse, eine Nummer, die auf einen Pfosten gebrannt wurde. Sie hält vor einem breiten, gestrichenen Tor und bemerkt erleichtert, dass nirgendwo Transporter irgendwelcher Sender zu sehen sind. Die Hills haben offenbar einen guten Rückzugsort gefunden.
Sie lässt das Fenster herunter und drückt auf die Taste der Sprechanlage, um sich anzukündigen.
Sie muss nicht lange warten.
»Kommen Sie herein«, sagt eine Männerstimme, und das schwere Tor rollt auf.
73. Kapitel
D uke sieht sie kommen. Dank seines zuverlässigen kleinen GPS-Ortungsgeräts, das noch immer unter ihrer Stoßstange klebt und kontinuierlich sein Signal sendet, hat er ihre Fahrt die ganze Zeit auf dem Monitor verfolgen können.
Die Ironie der Situation ist einfach unschlagbar.
Duke hat bereits einem halben Dutzend Personen Glückwunschmails geschickt, unter anderem Otis Poe, der sich in seinem Blog glücklich über die bevorstehende Veröffentlichung seines Buchs auslässt. Und Kim
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