Und Nachts die Angst
lief.«
»Aber ich habe Sie enttäuscht. Die richterliche Entscheidung gewährt einen derart großen Handlungsspielraum …«
»Oh, jetzt hören Sie aber auf«, unterbricht sie ihn. »Niemand konnte ahnen, was Moody vorhat. Und am wenigsten, dass er Daryl Wayne Flints Mutter zum Termin mitbringen würde. Ich meine, was soll das Drama?«
»Stimmt schon, Moody hat zu keiner der jährlichen Anhörungen jemals ein solches Theater inszeniert. Wir können wohl davon ausgehen, dass er schon vor Monaten damit angefangen hat, die Empfehlung der Klinik an das Gericht zu beeinflussen.« Er seufzt und schüttelt den Kopf. »Trotzdem. Hätte ich besser aufgepasst, hätte ich vorhersehen können, dass …«
»Ach, kommen Sie. Niemand kann vorhersehen, was Moody im Schilde führt. Er ist genauso krank wie Flint.«
»Aber er hatte seine Strategie wirklich gut ausgearbeitet. Und das hätte ich einfach ahnen müssen.«
Reeve atmet laut aus. »Na schön. Mama Flint hat also beantragt, dass Sohnemanns Sicherungsgrad herabgesetzt wird, und ist damit durchgekommen. Ende der Geschichte.«
»Dennoch. Irgendwie hätte ich Sie davor bewahren müssen. Ich denke an Flints Anruf.«
»Für den Sie aber nichts konnten.«
»Er hätte niemals anrufen dürfen.«
»Na ja, selbst mit einem anderen Sicherungsgrad kann Flint nicht einfach die Klinik verlassen, richtig?« Sie hält die Hände hoch. »Genug davon, okay? Sie sagten, Sie hätten zwei Dinge, die Sie besprechen wollen. Also – was noch?«
Er nimmt sich einen Moment Zeit, und als er wieder spricht, hat sich sein Tonfall verändert. »Ich will, dass Sie darüber nachdenken, sich im nächsten Semester für ein Studium einzuschreiben.«
Sie zieht die Nase kraus.
»Jetzt gucken Sie nicht so säuerlich. Sie sollen ja nur drüber nachdenken, okay? Sie haben eine besondere Begabung. Und ich denke, uns beiden ist klar, dass Sie in Bezug auf Ihre Zukunft ein paar Entscheidungen treffen müssen.«
»Entscheidungen worüber?«
»Wie Sie weitermachen wollen.«
Sie zieht die Augenbrauen hoch.
»Tun Sie nicht so überrascht. Sie haben eindeutig eine Wandlung durchgemacht. Und Sie wissen schon jetzt mehr über Gefangenschaftssyndrome als meine besten Studenten im Abschlussjahr. Mehr sogar als der durchschnittliche Arzt. Ich weiß, dass Sie viel Fachliteratur lesen, aber ich möchte, dass Sie darüber hinaus ein Studium erwägen. Ein bisschen forschen. Arbeiten schreiben. Das, was Sie intuitiv können, auf solide Füße stellen.«
Reeve sieht ihn lange an, ohne zu blinzeln.
»Denken Sie wenigstens drüber nach?«
Sie zuckt unverbindlich mit den Schultern. In diesem Moment klingelt ihr Telefon. Sie sieht aufs Display – Tilly. Sie entschuldigt sich bei Dr. Lerner und steht vom Tisch auf. Mit dem Telefon am Ohr entfernt sie sich ein paar Schritte. »Hey«, sagt sie. »Seid ihr schon auf dem Weg nach Fresno?«
»Nee. Wir mussten unsere Abreise bis morgen verschieben«, antwortet Tilly. »Bist du noch in der Stadt?«
»Ja, aber ich reise gleich ab.«
»Also, ich wollte fragen, ob du vielleicht noch mal vorbeikommen kannst. Zum Lunch vielleicht? Kannst du?«
»Na ja, es ist schwer, den Kochkünsten deiner Mutter zu widerstehen, aber bist du sicher, dass sie nichts dagegen hat?«
»Hör mal, ich hab was für dich gemacht.«
»Für mich?«
»Na ja, nichts Besonderes. Nur ein kleines Geschenk. Und ich fand, es sind deine Farben.«
Reeve denkt an Tillys grelle Version von Munchs Schrei und ist gespannt, welche Farben das Mädchen für sie ausgesucht hat.
Schwarzschattierungen wahrscheinlich.
Sie verabschiedet sich und will gerade ihr Handy wieder einstecken, als sie sich plötzlich nach San Francisco sehnt. Sie vermisst ihren Vater. Sie vermisst die Bay. Sie vermisst Persie. Aus einem Impuls heraus ruft sie bei Anthony an.
Er geht beim ersten Klingeln dran, und sie hat kaum Zeit, hallo zu sagen, als er einen Wortschwall über sie ergießt. »Reeve! Hey! Wo zum Geier bist du die ganze Zeit gewesen? Persie kommt langsam um ohne dich. Sie findet die Grillen, die ich ihr gebe, nicht halb so lecker wie deine, was ziemlich bescheuert ist, weil sie schließlich von demselben Händler stammen.«
Sie lacht.
»Du solltest sie schnell wieder abholen, weil ich Unmengen von Kunden habe, die säckeweise Gold für sie bieten. Keine Sorge, sie kommen nicht an sie ran«, fügt er hastig hinzu. »Sie steht hier in der Ecke, genau wie du es wolltest. Aber, hey, ich denke, du schuldest mir ein Bier
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