Und nie sollst du vergessen sein
umgebracht worden, oder hat jemand dieses Lied zufällig mitgehört?â
Herbert schaute seiner Frau tief in die Augen. Und obwohl sie zaghaft den Kopf schüttelte, wusste er bereits die Antwort.
sechzig
Endlich geschafft, dachte Emma, als sie im Witznauweg aus ihrem Auto stieg. Noch immer spürte sie ein leichtes Ziehen im Nackenbereich, dem sie versuchte, mit kreisenden Kopfbewegungen dem entgegenzuwirken.
Der Nebel hatte auf den Feldern, die ihm schutzlos ausgeliefert waren, noch an Intensität zugenommen. Und so brauchte sie für eine Strecke von knapp drei Minuten fast drei Mal so lang, ehe sie die ersten Häuser des Rosendorfs durch den dikken Nebelteppich erahnen konnte.
Mann, was freue ich mich jetzt auf einen gemütlichen Fernsehabend, dachte sie und hoffte, eine monotone Berieselung würde ihre kleinen Gehirnzellen zum Weiterdenken anregen. Sie musste doch endlich etwas tun. Die Frage war nur, was. Sie war schon fast in ihrem Apartment verschwunden, als jemand aus dem Waschraum nach ihr rief.
âEmma, warte einen Augenblick.â
Sie drehte sich um und sah, wie ihr Roswitha Villinger mit einem mit maschinengetrockneten Handtüchern, Kissenbezügen und Spannbettlaken gefüllten Wäschekorb entgegenkam.
âWir haben uns ja schon Tage nicht mehr gesehen.â Roswitha Villinger lächelte sie an. âMeine Schwester â puh, ist das schwer â¦â Sie stellte den Korb auf den Boden. Irgendwo im Haus klingelte ein Telefon. âNicht jetzt. Wo war ich? Ach ja, meine Schwester kommt heute Abend auf einen Sprung vorbei und bringt ihren selbstgebrannten Rosenschnaps mit.â
âDas freut mich.â
âJa, und sie sich erst. SchlieÃlich warst du ja die Erste, die sich nach diesem schrecklichen Vorfall so richtig um sie gekümmert hat.â
âDas waren die Sanitäter â¦â
âKeine Widerrede, um 19.30 Uhr sehen wir dich oben bei uns. Und bring Hunger mit.â Mit einer ausholenden Bewegung hievte Roswitha Villinger den Korb hoch und lieà ihn auf ihren Beckenknochen nieder, ehe sie temperamentvoll wie immer die Treppe hoch stapfte.
Zwei Stunden später stand Emma â sie hatte sich noch einmal geduscht, die Beine epiliert, obwohl sie mit keinem alleinstehenden männlichen Gast rechnete, und ihre schwarze Stoffhose, die dunkelrote Tunika und den breiten Lackgürtel angezogen â etwas müde, aber doch gespannt, was dieser Abend so bringen würde, vor der Wohnungstür ihrer Gastgeber.
Als sie geklingelt hatte, sah sie erst schemenhaft, dann immer deutlicher, wie jemand an die Tür kam. Es war Georg Villinger, der ihr öffnete.
âAh, Emma.â Er trat einen Schritt zur Seite und lieà sie mit einer einladenden Geste in die Wohnung. Der kleine Flur, in dem eine mit Mänteln, Jacken und Anoraks überfrachtete Garderobe hing, führte direkt ins offene Ess- und Wohnzimmer. Während in der Küche das Gebläse der Dunstabzugshaube brummte, hörte Emma in einem der beiden Kinderzimmer, die vom Flur aus nach links weggingen, einen laufenden Fernseher.
Das Esszimmer an sich war einfach eingerichtet. Eine antike, aber doch eher unscheinbare Vitrine war neben dem groÃen, ovalen Tisch der einzige Hingucker in dem weià gestrichenen Raum. Mehrere Gläser standen auf dem Tisch, dessen terrakottafarbene Wachsdecke eine Zumutung für jeden Inneneinrichter gewesen wäre. Doch weder Georg Villinger noch seine Schwägerin Silvia Trötschler schien das zu stören.
âSetz dich dochâ, begrüÃte sie Roswitha, die in ihrer ausgebleichten, ehemals satt-violetten Schürze, auf der sich bereits mehrere Saucenflecken und Fettspritzer dauerhaft verewigt hatten, perfekt zur Tischdecke passte.
âVielen Dank für die freundliche Einladungâ, sagte Emma, die bemerkte, dass sie mit leeren Händen die Treppe heraufgekommen war. Aber woher sollte ich auch wissen, dass ich heute Abend noch eingeladen werde, dachte sie und verscheuchte schnell die aufkommenden Gewissensbisse.
Es duftete herrlich nach Rouladen, Rotkraut und der selbst gemachten Rotweinsauce. Roswitha Villinger liebte es zu kochen und war immer wieder froh, ihre Künste anderen Menschen darbieten zu dürfen.
Eine Dunstwolke begrüÃte Emma, als sie in die Küche ging.
âKann ich Ihnen helfen?â
âGerne. Vielleicht kannst du die Knödel aus dem Wasser holen und jedem zwei auf
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