Und nie sollst du vergessen sein
sagte sie, als sie sah, wie vertieft Emma in dem Buch blätterte. âDas tue ich auch gar nichtâ, antwortete Emma beiläufig, während sie im Sachregister die einzelnen Stichwortrubriken durchging.
âApropos Rosen. Möchtest du einen Rosenschnaps nach deinem Verschlucker?â, fragte nun Silvia, die den ganzen Abend über sehr ruhig und in sich gekehrt gewesen war.
âVielen Dank, vielleicht etwas später.â Emma schlug den Almanach mit dem Titel âDas groÃe Buch der Rosenâ zu, um es erneut von vorne bis hinten durchzublättern.
âKann ich dir helfen? Wonach suchst du denn?â Mit vier Schnapsgläsern in der Hand kam Georg Villinger aus der Küche.
âIch suche nach einer bestimmten Rose, aber ich kann sie hier nicht finden.â
âDas ist nahezu unmöglich. Denn dieser Rosenführer ist aus dem vergangenen Jahr und hat jede bis dato gezüchtete Rose mit einem Bild, einer Kurzbeschreibung und hinreichenden Pflegetipps aufgeführt.â
âUnd unter welchem Stichwort finde ich dann winterblühende Rosen?â, fragte Emma, die fast eine Seite eingerissen hätte, so stürmisch durchblätterte sie den dicken Wälzer.
âWie kommst du auf winterblühende Rosen?â Georg Villingers Gesichtszüge verdunkelten sich und er schaute Emma mit ernstem Blick an. Auch Roswitha und ihre Schwester Silvia hatten ihr Gespräch unterbrochen und sahen zu Emma herüber, die sich über die angespannte Stimmung wunderte.
âIch habe hier im Dorf eine Rose gesehen, die gerade wieder ausschlägt, und daher wollte ich gerne wissen, was das für eine ungewöhnliche Rose ist, die sogar noch zu dieser tristen Jahreszeit blüht.â
âDas kann ich dir direkt sagen: Solche Rosen gibt es hier bei uns nicht. Du musst dich verguckt haben.â
Emma schaute Georg Villinger erstaunt an.
âDas verstehe ich jetzt nicht â¦â
âDas musst du auch nicht verstehenâ, unterbrach sie Georg Villinger barsch, ging an ihr vorbei durch den Flur und knallte hinter sich die Tür zu. Emma hörte nur noch, wie er die Marmortreppe im Flur hochlief und anschlieÃend im Obergeschoss eine Tür zuschlug.
Nach diesem Donnerschlag wurde es im Haus plötzlich ganz still. Nur die Uhr an der Wand tickte monoton vor sich hin und störte mit ihrer Eintönigkeit die angespannte Ruhe.
Mit fragendem Blick drehte sich Emma den beiden Frauen zu: âHabe ich etwas Falsches gesagt?â
âNein, überhaupt nicht.â Roswitha Villinger spielte an ihren Fingern herum in der Hoffnung, das könnte ihr die innere Unruhe nehmen.
âEs ist nur so: Eine winterblühende Rose verbindet er, nein, verbinden wir mit einer sehr unschönen Zeit, die man am liebsten hinter sich lassen und vergessen will.â
âWas meine Schwester damit sagen willâ, schaltete sich nun Silvia Trötschler in das Gespräch ein: âGeorg ist vor vielen Jahren einmal in Verdacht geraten, seiner Sorgfaltspflicht als Vorsitzender des Heimat- und Geschichtsvereins nicht nachgekommen zu sein. Denn zu den Aufgaben eines Vorsitzenden gehört es, die Rose, die jede Rosenkönigin zur ihrer Krönung als Geschenk bekommt und die sie am Sonntagmorgen in den Rosengarten hinterm Rathaus einpflanzen darf, als Züchtung in Auftrag zu geben und auf diese Rose aufzupassen, bis eben die Rosenkönigin diese in Empfang nimmt. Aber als der Reinhold am Samstagabend während des Rosenballs nach der Rose, die eingepackt in einem Topf im Rathaus stand, sehen wollte, war sie verschwunden. Und natürlich hatte man in Georg sofort den Schuldigen dafür gefunden.â
âSilvia, bitte.â Roswitha blickte ihre Schwester scharf an. âDas ist so lange her. Das interessiert Emma doch bestimmt nicht.â
âDoch, sehr sogar. Zumal Ihr Mann sich ja sicher nichts zuschulden hat kommen lassen.â Emma lächelte verständnisvoll. âNatürlich nicht. Wo denkst du hin? Aber sag das mal den anderen.â
âUnd um die Rose welcher Rosenkönigin hat es sich gehandelt?â, fragte Emma, die schon ahnte, welche Antwort sie nun zu hören bekam.
âUm Charlottes Rose natürlich. Was damals für eine Hektik herrschte, als Charlotte auf einmal wie vom Erdboden verschwunden zu sein schien. Niemand wollte Charlotte zuletzt gesehen haben. Na ja, und als man sie nicht fand und anfangs davon ausgegangen
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