Und nie sollst du vergessen sein
Claras Mutter ja gar nicht das Medaillon bei der Beerdigung ins Grab geworfen haben â wie ich es Emma gesagt habe.â Georg Villinger wischte sich mit der Hand über seinen Kopf. Dass er dabei seine mit Haarwasser gestärkte Frisur ramponierte, war jetzt auch egal.
âNein. Das war der Familienschmuck, den sie ihr als letzte Erinnerung mitgegeben hatâ, sagte Roswitha Villinger bestimmt.
âJetzt wissen wir immer noch nicht, was es mit dem Reim auf sich hatâ, sagte Karl Strittmatter und spielte â halb aus Ideenlosigkeit, halb aus Verlegenheit, weil er Emma damals so unwirsch abgebügelt hatte â mit seiner Kaffeetasse.
âUnd wo ist jetzt eigentlich diese Emma Hansen?â, fragte Bannholzer, der in einem Zug das Glas Wasser geleert hatte, und überging dabei Strittmatters Anmerkung. Er wollte jetzt erst einmal wissen, was es mit der Kollegin auf sich hatte.
âIch habe sie eben noch getroffenâ, sagte Luise Kampmann und richtete sich dabei das Oberteil ihres Twinsets.
âWas? Und das sagen Sie erst jetzt?â, prustete Bannholzer, dessen Geduldsfaden so langsam riss.
âJa, sie war irgendwie in Eile. Und als ich sie fragte, ob sie jetzt wisse, wer den Bauern und die Lädele-Verkäuferin umgebracht hat, da meinte sie nur, dass vielleicht eine Rose ihr die Antwort darauf geben könne.â
âOh nein, fängt sie jetzt schon wieder damit an.â Georg Villinger verdrehte die Augen und schüttelte unentwegt den Kopf. âWomit fängt sie schon wieder an? Emma Hansen? Mit einer Rose?â Bannholzer hatte das Gefühl, er verstünde nur Spanisch, seitdem der Name Emma Hansen gefallen war.
âHerr Villinger, können Sie uns dazu mehr sagen?â
âGeorg, jetzt sag schon. Es muss endlich raus.â Roswitha Villinger lächelte ihren Mann milde an.
Georg Villingers Gesichtszüge verfinsterten sich. Er stand ruckartig auf, ging zur Garderobe und betrachtete sich im Spiegel. âBei der Rose, von der Frau Kampmann spricht, handelt es sich um die Rose âRemember meâ. Charlottes Rose, die sie zu ihrer Krönung als Züchtung geschenkt bekommen sollte und die sie im Rathausgarten am Tag des Rosenumzuges einpflanzen sollte. Doch soweit kam es nicht.â Er stockte. Mit einem schnellen Griff nahm er sich die zusammengerollte Krawatte von der Garderobenablage, band sich einen Knoten und zog diesen energisch zu. Fast hätte er laut loshusten müssen, so stramm hatte er den Knoten gezogen.
âDenn erst verschwand Charlotte und dann die Rose.â
âStimmt, davon habe ich gelesen, als ich die Ermittlungsakten durchgegangen binâ, sagte Bannholzer, der auch von dem Verdacht gehört hatte, dass Georg Villinger auch deshalb für den Diebstahl verantwortlich gemacht wurde, weil er im Gegensatz zu anderen Gemeinderatsmitgliedern wie Reinhold Nägele oder Bürgermeister Josef Huber ein Veto gegen die aus England importierten Rosen eingelegt hatte, die in Nöggenschwiel angepflanzt und auch gezüchtet werden sollten.
Auch wenn ihm keine Schuld oder Mitverantwortung nachgewiesen werden konnte, so war doch das Vertrauen nachhaltig zerstört. Man hatte ihn im Dorf zwar rehabilitiert, aber es war eine schmerzliche Erinnerung zurückgeblieben, die auch die Zeit nicht hatte heilen können. Bannholzer spürte das und sagte daher nichts weiter. Er empfand gröÃtes Mitgefühl für diesen Mann, der ihm als sehr vertrauenswürdig erschien.
âWas war denn das Besondere an dieser Rose, dass sie jemand klaut?â
âDiese Rose ist eine absolute Rarität. Richard Sutherfolk, ein englischer Rosenzüchter und Freund der Familie Nägele, hat sie nur für Charlotte gezüchtet. Und als winterblühende Rose zeigt sie bei richtiger Pflege das ganze Jahr ihre Schönheit â wenn sie in einem Gewächshaus gehalten wird.â
âDas ist es.â
Alle Anwesenden schauten Stefan Alt verwundert an.
ââSah ich einst ein Röslein stehn, war so jung und war so schön. Die Haare schwarz, die Lippen rot, nun ist sie wie Schneewittchen tot.â Dieser Reim ähnelt dem ersten Vers aus Goethes âHeidenrösleinâ. Und der zweite Teil bezieht sich auf das Märchen von Schneewittchen.â
âUnd was meinen Sie damit?â, fragte Bannholzer irritiert.
âSchneewittchen lag doch in einem gläsernen Sarg. Etwas gröÃer gedacht:
Weitere Kostenlose Bücher