Und Nietzsche lachte
Nützlichkeitserwägungen stellte: Gut und sinnvoll, so die Utilitaristen, ist ein Leben, das von Nutzen ist – das einem Zweck dient. Diesen Zweck fanden die Denker dieser Schule im »größtmöglichen Glück für die größtmögliche Menge«. Und sie machten es zu jedermanns Aufgabe, das Leben so zu kalkulieren, dass man diesem Zwecke möglichst nützlich ist.
4. »Lebe so, dass du Ja zu dir sagen kannst!« – Die Gleichsetzung von sinnvoll und gewollt Stehen im Hintergrund der Sinndeutungen 1 und 2 oft starke metaphysische Annahmen wie ein göttlicher Drehbuchautor oder Gesetzgeber, so verzichtet diese komplett darauf und erklärt stattdessen den Menschen selbst zum Macher seines Lebenssinns. »Gestalte dein Leben so, dass es bejahenswert ist«, formuliert der Philosoph Wilhelm Schmid seinen »existenziellen Imperativ«. Es geht also darum, das Ziel, das zu erreichen den Sinn des Lebens verspricht, selbst zu formulieren. Die Lebenskunst rechnet demnach gerade nicht damit, Sinn finden zu können, und ermutigt uns stattdessen, ihn zu erfinden. Der Sinn wird so zu einem kunstvollen Konstrukt des Menschen.
Alle diese Deutungen – und wer weiß, was sonst noch alles – spuken gemeinhin in unseren Köpfen. Und ich behaupte: Sie verhindern, dass wir einen freien Blick auf den Sinn bekommen. Sie prägen unsere Erwartungen und Vorstellungen und geben uns ihre jeweiligen Ideale an die Hand, an denen gemessen uns das tatsächliche Leben dann aber allzu oft sinnlos vorkommt:
• weil wir das Wesen unserer selbst einfach nicht entdecken und nicht herausfinden, was wir bedeuten – worin unsere Bedeutung liegt – und welche Rolle wir manifestieren sollen;
• weil wir den moralischen Normen einfach nicht genügen und in unserer moralischen Fehlerhaftigkeit meinen, den Sinn unseres Lebens zu verfehlen;
• weil wir noch so nützlich und zweckdienlich leben, aber dennoch die schmerzliche Erfahrung machen können, dass der Nutzen, den wir erbringen, und der Zweck, dem wir dienen wollten, plötzlich wegbrechen oder sich als ganz und gar nicht bejahenswert entpuppen; und am Ende feststellen müssen, dass es völlig sinnlos war, nützlich zu sein … (passiert das nicht häufig in der Arbeitswelt?);
• weil wir hinter der selbstgemachten Deutung und dem selbstentworfenen Ideal unserer selbst einfach immer zurückbleiben. Oder wir erfüllen es sogar, zweifeln aber dabei noch immer daran, ob das nun wirklich sinnvoll und bejahenswert war.
Statt uns Wegweisung bei unserer Sinnsuche zu sein, erweisen sich diese Deutungen also eher als Holz- und Irrwege, die uns in Sinnlosigkeit, Resignation und Depression führen können. Deshalb ist Vorsicht geboten. Deshalb müssen wir uns irgendetwas einfallen lassen, um möglichst nicht in die Irre zu gehen. Was könnte das sein? Wer könnte uns einen Wink geben?
Meine Antwort lautet: Sokrates, die Galionsfigur der abendländischen Philosophie. Zumal wir nicht falsch liegen, wenn wir in ihm einen Urahn Frankls gewahren. Und wir tun gut daran, uns ihm ein wenig zuzuwenden.
Sokrates und Frankl verbindet nicht nur die Überzeugung, dass es jedem Menschen möglich ist, den Sinn des Lebens zu finden. Es ist darüber hinaus ihr therapeutischer Anspruch. Auch Sokrates verstand sein Philosophieren als eine epiméleia t e - s psych e - s – eine Sorge um die Seele. Auch er stellte dabei keineswegs den Anspruch, dem Menschen von außen sagen zu können, was der Sinn seines Lebens ist, wohl aber ihn zu der Erkenntnis zu führen, dass es sinnvoll ist, nach dem Sinn zu fragen – weil es diesen Sinn tatsächlich gibt. Denn er war davon überzeugt, den Menschen bei der Suche nach dem Sinn so etwas wie »Geburtshilfe« leisten zu können.
Wie das zu verstehen ist und was genau die »philosophische Geburtshilfe« als Sinnfindungsstrategie zu leisten vermag, hat sein Schüler Platon in seinem Dialog Theaitetos dargestellt. Darin gibt es die berühmte Passage, in der Sokrates sich selbst als Meister der Hebammenkunst präsentiert – als einer, der sich »um gebärende Seelen« kümmert, womit wohl nichts anderes gemeint ist als die Suche nach Sinn oder Weisheit. Sokrates beschreibt sein eigentümliches Geschäft darin als eines, bei dem es allem voran darauf ankomme, »zu prüfen, ob das Denken des Menschen Trugbilder und Falsches zu gebären im Begriff ist oder Kraftvolles und Wahres«.
Zuweilen freilich stieß Sokrates bei seinen therapeutischen Bemühungen auf Widerstand. Weil die Menschen, mit
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