Und Nietzsche lachte
Leben zu führen – eines, das uns dieses unbedingte »Ja!« zu uns und unserem Leben aussprechen lässt, von dem Viktor Frankl so eindringlich sprach.
Nimmt man das alles zusammen, dann ist klar: Philosophieren ist ein sinnvolles Geschäft. Denn wenn es stimmt, dass seelische und geistige (ja, wahrscheinlich sogar körperliche) Gebrechen von einem irrsinnigen, unsinnigen, sinnlosen oder wenigstens doch fragwürdigen Denken herrühren, und wenn die Aufgabe der Philosophie darin liegt, dieses Denken zu entlarven, bloßzustellen und zu korrigieren, um sodann theoretische und praktische Alternativen aufzuweisen, dann wird man mit Fug und Recht sagen können, Philosophie als Sorge für die Seele sei ein nützliches Unterfangen. Ein Unterfangen, das umso notwendiger ist, je mehr Irrsinn, Unsinn und Sinnlosigkeit unser Leben vergiften.
Erstes Zwischenspiel im Himmel
Kaum dass der Ewige jene denkwürdige Zusammenkunft des Rates der Denker aufgelöst hatte, entstand dem Vernehmen nach ein großes Getümmel unter den Anwesenden. So traf es sich, dass beim Herausgehen zwei Herren unsanft aneinanderstießen.
»Verzeihen Sie, verzeihen Sie«, stammelte der eine, ohne den Blick vom Boden zu heben, und zupfte gedankenverloren an seinem Revers.
»Ja, da schau doch einer her: der gute Herr Kant«, platzte es aus dem anderen, »immer in Gedanken, aber stets korrekt und voll guten Willens – ha, das wandelnde Sittengesetz! Ich bin ihm auf den Fuß getreten. Da capo, ich will es wieder tun!«
»Spotten Sie meiner nicht, Herr Professor Nietzsche«, entgegnete Kant unter höflichen Verbeugungen, und da jener sich so ehrerbietig angesprochen sah, hielt sein Stiefel inne, während seine Hand die seines Gegenübers suchte, um sie kraftvoll zu schütteln. Da fasste der zierliche Mann Mut. Fast flüsternd, so dass Nietzsche ihm sein Ohr zuwenden musste, sprach Kant ihn an: »Herr Professor Nietzsche, es freut mich außerordentlich, Sie hier zu treffen. Schon lange verfolge ich Ihre Arbeit mit einem ungekünstelten, interesselosen Wohlgefallen. Obgleich es mir schwerfällt, Ihren erhabenen Gedanken zu folgen und mir die von Ihnen gewählte Sprache zuweilen bemerkenswert zusetzt, habe ich es doch zu keinem Zeitpunkt unversucht gelassen, Ihrer Denkungsart auf die Schliche zu kommen und die ihr zugrunde liegenden synthetischen Urteile a priori gleichsam ex posteriori vermittelst einer wohlmeinenden Lektüre, deren Grundhaltung nach meinem Dafürhalten als Maxime eines jeden als notwendiges Naturgesetz postuliert zu werden verdiente, zu erhellen.«
»Aha«, entgegnete Nietzsche trocken, wodurch sein Gegenüber sich ermutigt sah, fortzufahren.
»Nun«, sagte Kant, »stellt sich mir aber doch eine Frage. Wie Sie wissen, habe ich ja seinerzeit dargelegt, dass Gott nichts anderes ist als ein regulatives Prinzip der Vernunft, alle Verbindung in der Welt so anzusehen, als ob sie aus einer allgenügsamen notwendigen Ursache entspränge; dass das Ideal eines höchsten Wesens mithin keineswegs die Behauptung einer an sich notwendigen Existenz mit sich führe. Aber, mein Herr, dass Sie Gott deshalb gleich für tot erklären, scheint mir doch etwas weit gegriffen. Denn damit untergraben Sie das Fundament aller Ordnung und Sittlichkeit. Ja, damit werden Sie zu dem, was zu sein meine Gegner mir stets vorzuwerfen beliebten: zu einem Alleszermalmer. Denn sehen Sie, Herr Professor, ohne einen Gott und eine für uns jetzt nicht sichtbare, aber gehoffte Welt sind die herrlichen Ideen der Sittlichkeit zwar Gegenstände des Beifalls und der Bewunderung, aber nicht Triebfedern des Vorsatzes und der Ausübung, weil sie nicht den ganzen Zweck, der einem jeden vernünftigen Wesen natürlich und durch eben dieselbe reine Vernunft a priori bestimmt und notwendig ist, erfüllen.« Hier hielt Kant inne, um seine Pointe zu betonen. »Reden Sie also nicht vom Tode Gottes, mein Herr«, fügte er leise, aber bestimmt hinzu, »denn mit dieser Rede rauben Sie den Menschen den Sinn. Der Mensch ist zu sehr aus krummem Holz geschnitzt, als dass er ein sittlich gutes und vernunftgemäßes Leben führen würde, wenn ihm nicht in Aussicht gestellt wäre, durch und in Gott eine seiner Sittlichkeit gemäße Seligkeit zu empfangen. Ohne Gott keine Sittlichkeit, ohne Sittlichkeit aber kein Sinn. Der Sinn des Lebens, mein Herr, besteht darin, dem moralischen Gesetz in mir Folge zu leisten – ihm Folge leisten zu wollen . Denn, mein Herr, womöglich stimmen Sie ja mit mir darin
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