Und Nietzsche lachte
überein, dass nichts in dieser Welt, ja sogar außerhalb derselben, gut genannt werden könne, als allein mein guter Wille. Wille zum Gut-Sein, so heiße ich den Willen zum Sinn – und nur indem ich Gutes will, werde ich mich meiner Vernunft würdig erweisen. Denn das, mein Herr, dünkt mich der Sinn des Lebens: dem Sittengesetz in mir, dem kategorischen Imperativ, Folge zu leisten, aber ganz gewiss nicht zu … zu tanzen.«
Nietzsche hatte aufmerksam zugehört. Er zupfte sich an seinem mächtigen Bart und murmelte in diesen hinein: »Gott ist ein Gedanke, der macht alles Gerade krumm und alles, was steht, drehend. Wie? Die Zeit wäre hinweg und alles Vergängliche nur Lüge? Dies zu denken ist Wirbel und Schwindel menschlichen Gebeinen und noch dem Magen ein Erbrechen: wahrlich, die drehende Krankheit heiße ich’s, solches zu mutmaßen. Böse heiße ich’s und menschenfeindlich: all dies Lehren vom Einen und Vollen und Unbewegten und Satten und Unvergänglichen!« Nun kam er in Fahrt: »Alles Unvergängliche – das ist nur ein Gleichnis!«, brüllte er hinaus in die ewigen Weiten des Universums. Und Kant erneut zugewandt, setzte er mit blitzendem Auge hinzu: »Und ihr Philosophen … lügt zu viel!«
Kant war getroffen, wankte. Das, was ihm das Heiligste war, das Sittengesetz in ihm – es schien zu schwanken. Dieser Mann wollte ihn um den Verstand bringen. »Aber, aber, mein Herr«, stammelte er, »wo bleibt da die Vernunft? Und wo die Moral? Bedenken Sie doch …«
»Ein Werkzeug deines Leibes ist deine kleine Vernunft, mein Bruder«, fiel ihm Nietzsche milde lächelnd ins Wort, »denn Leib bist du ganz und gar, und Nichts außerdem. Dein schaffender Leib schuf sich den Geist als eine Hand seines Willens. Aber dieser, sein Wille, mein Freund, der will nicht gut sein. Ha, der will kein ›Du sollst‹, – der will nur eines: Macht will er haben. Wisse denn, Bruder«, und mit diesen Worten näherte sich Nietzsches Schnauzbart bedrohlich dem glatt rasierten Antlitz Kants, »deine Moral, dein Sittengesetz, deinen …«, und während er sprach, verdrehte er verächtlich seine Augen, »… deinen kategorischen Imperativ – das alles hast du dir selbst erfunden. Das alles hast du dir selbst erlogen. Aber ich weiß, du kleiner Schelm, was du damit sagen wolltest. Du wolltest dich selbst beweihräuchern und deinen Willen den anderen aufzwingen. Nicht dein Wille zum Guten, nein, dein Wille zur Macht war’s, der deine Feder führte, als du dein Sittengesetz erfandest. Aber mich täuschst du nicht. Nein, ich vermag mir dein Gleichnis aufzulösen und die Zeichensprache deiner Affekte zu entziffern: Was an mir achtbar ist, das ist, dass ich gehorchen kann – und bei euch soll es nicht anders steh’n als bei mir –, das ist’s, was dein Sittengesetz in Wahrheit sagt. Das, Bruder, ist die Wahrheit hinter deiner kleinen Lüge. Pfui, Ekel! O sancta simplicitas! In welcher seltsamen Vereinfachung und Fälschung lebt der Mensch! Wie lächerlich ist doch all sein ›Du sollst‹, wie lächerlich all seine Götter, gleich wie sie heißen!«
Und kaum dass er diese Worte gesprochen, da brach es neuerlich aus ihm heraus. Wild und donnernd durchdrang sein Lachen den ortlosen Ort. Niemals noch auf Erden lachte je ein Mensch, wie er lachte. Als er sich endlich ausgelacht hatte, da blickte er Kant durch tränenverschleierte Augen an und sagte: »Diese Krone des Lachenden, diese Rosenkranz-Krone, dir, meinem Bruder, werfe ich diese Krone zu! Das Lachen spreche ich heilig: ihr höheren Menschen, lernt mir – lachen! Auf dass ihr trotz all eurer Prediger des Todes das Leben liebt – auf dass ihr trotz dieses Herrn hier«, wobei er auf Kant wies, »den Sinn eures Lebens … schafft! Ach, meine Brüder, was gehen mich noch – die Götter an!«
Vom Tode Gottes und dem Verlöschen der alten Sonnen
Laternen am Vormittag
Gott ist tot
So wie Thales einst den genauen Termin einer Sonnenfinsternis berechnete und damit die Nützlichkeit der Philosophie unter Beweis stellte, so lässt sich auch das Datum ermitteln, an dem die Sinnfinsternis über die Erde kam beziehungsweise an dem sie zum ersten Mal zur Sprache gebracht wurde. Es geschah im Jahre 1882, als Friedrich Nietzsches Buch Die Fröhliche Wissenschaft erschien. Darin nämlich findet sich im Abschnitt 125 die erschütternd schonungslose Diagnose dieses Ereignisses:
»Habt ihr nicht von jenem tollen Menschen gehört, der am hellen Vormittage eine Laterne anzündete, auf den
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