Und Nietzsche lachte
heute, die Sinnerwartungen und Sinnverheißungen der Menschen geprägt haben; weil sie es sind, in deren Bahnen sich bis heute viele Menschen bewegen, so sie denn auf der – meist erfolglosen – Suche nach dem Sinn des Lebens sind.
Der Gott, dessen Tod Nietzsche zu exekutieren und zu zelebrieren gedachte, war der Gott des Christentums. Aber es war nicht der Gott des Christentums allein, erschien er Nietzsche doch eigentlich nur als Maske für dasjenige, was er zum »schlimmsten, langwierigsten und gefährlichsten aller Irrtümer« erklärte, »nämlich Plato’s Erfindung vom reinen Geiste und vom Guten an sich.« Deshalb konnte er in der Vorrede zu Jenseits von Gut und Böse das geflügelte Worte formulieren: »Christentum ist Platonismus für’s ›Volk‹.«
Später werde ich noch erklären, warum ich glaube, dass Nietzsche dem guten Platon hier Unrecht getan hat. Und nicht nur er, sondern beinahe die gesamte abendländische Philosophie seit den Tagen von Platons prominentestem Schüler Aristoteles, weshalb ich versucht wäre, mit Hölderlin auszurufen: »Heiliger Platon vergib! Man hat schwer an dir gesündigt!« Aber fürs Erste obliegt es mir wohl, verständlich zu machen, was Nietzsche eigentlich meinte, wenn er das, was er für Platonismus und die geistige Substanz des Christentums hielt, als »Dogmatiker-Irrtum« brandmarkte – einen Irrtum, gegen den schon die halbherzigen Mörder Gottes der Vergangenheit gekämpft hatten, und den endgültig zu erledigen er nun selbst seine Keule schwang.
Also hat Gott die Welt gewollt …
Wovon also redet Nietzsche, wenn er den Tod Gottes proklamiert? Er beschwört das Ende einer Philosophie – einer »Auslegung des Seins im Ganzen « , wie Martin Heidegger das genannt hätte –, die unsere Frage nach dem Sinn beantworten zu können vorgibt, indem sie auf »den reinen Geist« und das »Gute an sich« verweist. Tatsächlich hatte Platon in seiner Deutung der Welt mit solchen Formulierungen operiert. Tatsächlich hatte er in seinen Dialogen den Gedanken vorgetragen, die Phänomene dieser Welt verdankten ihr Sein der Präsenz zeitloser, ewiger Ideen, die ihrerseits in einer »Idee des Guten« gründen, die unsere Welt – den Kosmos – mit Sinn durchdringe. Ganz so, wie die Sonne sie mit Licht durchdringt. Und tatsächlich war diese platonische Philosophie, vermittelt durch die Lehren der sogenannten Neuplatoniker, in den ersten Jahrhunderten nach der Zeitenwende in die sich damals formierende christliche Theologie eingesickert; wo sie erstaunlich frische Blüten trieb, die zwar mit dem Denken des alten Platon nicht mehr viel gemein hatten, dafür aber bestens präpariert waren, um sich in einer wundersamen Symbiose mit den uralten religiösen Vorstellungen des Vorderen Orients zu verbinden.
Diese – allen voran das Judentum – kannten und verehrten einen allmächtigen Schöpfergott: den Einen, der die Welt geschaffen hat; den Ewigen und Allmächtigen, den jeder Fromme als den unerschütterlichen und unbestreitbaren Grund dieser Welt anzuerkennen hatte. Dieser Gott hatte in sechs Tagen aus dem Nichts eine Welt geschaffen. Und Er hatte, getreu dem biblischen Schöpfungsbericht, diese Welt für gut befunden. Er hatte sie gut geheißen und garantierte seither den unverbrüchlichen Sinn seiner Schöpfung. Aber nicht nur das. Auch hatte Er diese Welt gewollt, auch hatte Er sich etwas bei ihrer Erschaffung gedacht. Er hatte Gutes mit der Welt vor und Er hatte in seinem ewigen Intellekt ganz viele Ideen, die in dieser Welt Wirklichkeit geworden waren, so dass alles in dieser Welt Gewordene auf wunderliche Weise auf das verwies, was Gott in seinem Geiste trug. Alles auf Erden schien etwas zu bedeuten, und so galt es, mit der eigenen Vernunft die Gedanken Gottes zu erschließen, die sich kraft seines Schöpfungsaktes in der sichtbaren Welt manifestiert hatten. Solches zu tun, hieß die Dinge zu verstehen – ihren Sinn zu erkennen. Wobei Sinn verstanden wurde als die den Dingen von Gott gegebene Bedeutung. Das ist wichtig, denn so wurde der Keim zu der später populär gewordenen Vorstellung gesät, man müsse diese in Gottes Weisheit verborgene Bedeutung des eigenen Lebens herausfinden, wenn es einem darum zu tun sei, den Sinn seines Lebens zu ergründen. Kurz: Aus der Liaison von platonischer Ideenphilosophie und christlichem Schöpfungsglauben ging dasjenige hervor, was ich die »Gleichsetzung von Sinn und Bedeutung« nenne.
Doch hatte Gott nicht nur die Welt
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