Und Nietzsche lachte
unseren Blick auf sich lenkt, so dass uns ein sieghaftes »Ja!« entgegenjubelt. Ein Sog, auf den es nur eine Antwort gibt: Liebe, sinnliche Liebe, leidenschaftliche Liebe.
Auch davon erzählt der Mythos. Etwa in folgender reizenden Szene: Aphrodite wandelt auf Erden, »ihr folgten / wedelnd graue Wölfe und Löwen mit funkelnden Augen, / Bären und schnelle Panther, die unersättlich nach Rehen / gierig; und dieser Anblick erfreute die Sinne der Göttin, / und sie erweckte in ihnen so süße Begierde, dass alle / paarweise sich zueinander in schattige Lager gesellten.«
Eine erstaunliche Wirkung, nicht wahr? Sie, deren Sinne selbst entzückt sind, verzückt alles, was ihr nahekommt. So schön ist die Göttin, dass selbst Raubkatzen ihre Mordlust vergessen und stattdessen Kurzweil treiben. Will sagen: Wo sie erscheint, entfacht sie die Sinnlichkeit. Eine Sinnlichkeit, die sinnvoll ist, weil sie Verbindungen stiftet und die großen Polaritäten des Lebens (Weiblich und Männlich; Täter und Opfer) zusammenführt. Sie weckt die Liebe in ihnen, die wie nichts sonst die wahre und echte Harmonie zu erzeugen vermag – eine Harmonie, die die Gegensätze nicht auflöst, sondern ganz im Gegenteil zu ihrer vollen Entfaltung bringt. Wo Aphrodite wirkt, da sind Männer Männer und Frauen Frauen. Kein Wärmetod, sondern Hochspannung. Eine Harmonie, die den Einzelnen völlige Freiheit gewährt und sie doch auf verbindlichste Weise einander verbunden sein lässt. In ihr wächst zusammen, was zusammengehört. Ja, aus dieser Harmonie vermag neues Leben hervorzugehen!
Das alles ist Aphrodite: Sie ist die Verbindende. Doch verbindet sie nicht wie Apollon mit der kristallinen Klarheit der geistigen Ordnung, sondern durch die Entfesselung der Sinnlichkeit in Herz und Leib. Das ist ihre Weise, Verbundenheit und Stimmigkeit zu stiften, so erzeugt sie Harmonie, so schafft sie Sinn und Bejahbarkeit – sie, die Göttin, in der sich der Lichtglanz des Göttlichen von seiner unwiderstehlich schönen Seite zeigt.
Das lässt niemanden unberührt. Die göttliche Schönheit hinterlässt Spuren. Wen sie hinreißt, der ist hin und weg; dessen Sinne sind entfacht, dessen Herz ist entflammt. Wen sie trifft, den trifft jener geflügelte kleine Dämon, den die Griechen Eros nannten. »Eros erfüllte das Herz des Anchises«, erzählt der Homerische Hymnus von der Begegnung des Hirten mit der Göttin; ganz als müsse das so sein. Und genau so ist es: Denn Eros ist der treue Begleiter Aphrodites. Manche mythologische Traditionen erklären ihn nicht zufällig zu ihrem Sohn. Er steht nämlich für das, was bei ihr rauskommt: ihre Wirkung. Er ist die Hingerissenheit selbst; ein Hingerissener, wie Platon sagt, aber kein Gott; wohl aber diejenige Facette im Leben eines Menschen, mit der er unwiderstehlich hingezogen ist zum Göttlichen: diejenige Kraft, die ihn unendlich nach Sinn und Bejahbarkeit streben lässt; diese schier unstillbare Sehnsucht, nach einem Leben, das STIMMT. Eros, so ließe sich unter Bezugnahme auf Viktor Frankl sagen, ist der eigentliche Wille zum Sinn .
Nähert man sich der sinnlich-leidenschaftlichen Liebe – Eros – von dieser Seite, versteht man auch die wunderlichen Dinge, die Platon in seinem Dialog Symposion über Eros zu sagen weiß. Wobei ich richtiger sagen sollte: die Platon dort einer erstaunlichen Figur in den Mund legt: Diotima, einer Frau! Was an sich schon ungewöhnlich ist, weil in der philosophischen Literatur der Antike so gut wie nie Frauen auftauchen. Aber hier geschieht es, und das will etwas sagen. Es will sagen, dass es der weiblichen Weisheit bedarf, um auf die Reihe zu bekommen, was es mit der Liebe tatsächlich auf sich hat. Denn bis Diotima in Platons Dialog zu Wort kommt, waren es nur Männer, die bei jenem denkwürdigen Gastmahl ihre Lobeshymnen auf Eros hielten – wobei aber in Wahrheit nur Bekundungen ihrer übersteigerten Selbstliebe herauska men. Endlich jedoch ist bei diesem Redenreigen Sokrates an der Reihe, der seinerseits nun aber zu verstehen gibt, dass er all seine Weisheit in Liebesdingen ( tá er o - tiká ) eben jener Diotima verdanke, von der er sich einst in die »Mysterien des Eros« habe einweihen lassen. Und dann referiert er lang und breit, was er alles von dieser Frau erfahren habe – und skizziert damit nicht mehr und nicht weniger als die tiefste philosophische Deutung der Liebe, die die abendländische Philosophie in ihrem Portfolio hat.
So, und in diesem Zusammenhang nun
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