Und Nietzsche lachte
erfahren wir von Sokrates, Diotima habe ihn gelehrt, dass Eros ein Philosoph sei! Ja wirklich: Eros ist ein Philosoph. Er liebt ( phílei ) die Weisheit ( sophía ). Was dem Uneingeweihten zunächst ganz fremd klingt, dürfte Sie nun nicht mehr erschüttern. Denn haben wir uns nicht eben erst vor Augen geführt, dass sich hinter diesem kleinen geflügelten Knirps, den die Griechen Eros und die Römer Amor oder Cupido nannten, nichts anderes versteckt als die unendliche Sehnsucht des Menschen nach Sinn: diese treibende, drängende Kraft, die uns unablässig danach trachten lässt, so zu leben, dass wir »Ja!« zu uns und der Welt sagen können – mit Sinn und Sinnlichkeit, mit Leib und Seele? Und ist es nicht Eros, die leidenschaftlich-sinnliche Liebe, die uns am Ende tatsächlich dieses »Ja!« auf die Lippen zaubert? So wie es Viktor Frankl im KZ geschah – und mit ihm unendlich vielen Menschen, die schlicht, weil sie liebten, Gefühl und Sinn für den Sinn nicht verloren?
Eros, lässt Platon seine Diotima erläutern, entzündet sich am Schönen. Er öffnet das Herz und lässt das Licht der Sinnhaftigkeit hineinstrahlen. Er lässt sich hinreißen und liefert sich dem aphrodisischen Glanz der Wahrheit aus – diesem Glanz, den wir auch von Platons Idee des GUTEN kennen. Aber er lässt es nicht dabei bewenden. Ihm reicht es nicht, sich begeistern und verzaubern zu lassen. »Schönheit«, so die Meisterin der Liebeskunst, »ist eine geburtshelfende Göttin«: Sie befeuert den Eros, der – gleichsam vom Lichtglanz der Schönheit und Harmonie aufgetankt – nun sein Werk verrichtet. Er stellt Verbindung her und bringt Verbundenheit zu Bewusstsein – die Tiere paaren sich, die Menschen auch. »Zeugung und Schwangerschaft sind etwas Göttliches im Leben der Menschen«, sagt Diotima. Aber sie sagt auch, dass das nicht alles ist. Eros will nicht nur Mann und Frau verbinden. Das wäre zu wenig. Sein eigentliches Werk ist es, Menschen und Götter zu verbinden und dafür Sorge zu tragen, »dass das Ganze mit sich verbunden ist«.
Ich übersetze: Unendlich sehnt sich die Liebe nach Vollkommenheit, unendlich sehnt sie sich nach Ganzheit. Immer sucht sie die Verbindung, immer strebt sie nach Einheit, Einklang und Einstimmigkeit. Immer geht es ihr um das große ES STIMMT, das große »Ja!«, die letzte Wahrheit. Und nur sie kann dieses Wunder vollbringen. Sie stiftet Verbindung in der größten Polarität. Sie stiftet den Bund von Apollon und Dionysos. Sie lässt uns die Welt mit tragischen Augen bejahen und lieben und auch zu den dunklen Facetten des Lebens »Ja!« sagen. Sie ist die Kraft, die die Welt im Innersten zusammenhält.
Deshalb ist Eros ein Philosoph. Er will Sinn. Er ist unbedingter Wille zum Stimmigen, Wille zum »Ja!«, Wille zum Leben. Er ist der ultimative Sinnstifter. »Nicht Wille zur Macht, sondern Wille zur Liebe – so lehre ich’s dich«, möchte ich dem guten Nietzsche entgegenhalten. Nicht der Wille zur Macht, sondern Eros ist es, der uns den Sinn erschließt. Denn Sinn kann nicht erfunden werden, Sinn kann nur gefunden werden. Und das tut Eros. Weil er nicht macht und schafft und tut und will, sondern sich übermächtigen lässt von der Schönheit, die da ist. Er maßt sich nicht an, das Leben aus eigener Kraft mit aphrodisischem Glanz zu überziehen, sondern gibt sich dem aphrodisischen Glanz des Lebens hin und beflügelt so unsere Herzen und Sinne. Damit begeistert er uns und feuert uns an, immer aufs Neue nach Schönheit und Sinn zu suchen – mit Sinn und Sinnlichkeit das Göttliche auf Erden zu finden. Eros bleibt der Erde treu. Aber er ruht nicht eher auf der Erde, als dass er mit dem frechen Puck aus Shakespeares Sommernachtstraum sagen kann: » Hans nimmt sein Gretchen , / Jeder sein Mädchen; / Find’t seinen Deckel jeder Topf, / Und allen geht’s nach ihrem Kopf.« – Na, sagen wir: nach ihrem Herz.
Eros – Man sieht nur mit dem Herzen gut
Sie haben Recht, meine Damen, da ist noch eine Sache offen geblieben: Ich hatte unter Verweis auf Diotima angedeutet, dass es nach Platons Auffassung der weiblichen Weisheit bedarf, um zu einem angemessenen Verständnis der Liebe zu finden. Aber ich hatte Ihnen noch nicht erklärt, worin diese weibliche Weisheit eigentlich besteht. Und das möchte ich nun nachholen. Es wird übrigens, meine Herren, auch für Sie interessant werden. Denn es geht nun um nichts anderes als die Frage, was es eigentlich zu tun gibt. Ja, wirklich, ich meine: Sie haben
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