Und Nietzsche lachte
deine Kameraden gehüllt sind, grau sind ihre Gesichter. Wieder hebst du an mit deiner Zwiesprache mit dem geliebten Wesen …« – Das ist der wichtigste Satz: Frankl ist bei seiner Liebsten. Er ist in der Liebe. Und diese Grundschwingung seines offenen Herzens gebiert das Wunder: »Und in diesem letzten Aufbäumen gegen die Trostlosigkeit eines Todes, der vor dir ist, fühlst du deinen Geist das Grau, das dich umgibt, durchstoßen, und in diesem letzten Aufbäumen fühlst du, wie dein Geist über diese ganze trostlose und sinnlose Welt hinausdringt und auf deine letzten Fragen um einen letzten Sinn zuletzt von irgendwoher dir ein sieghaftes ›Ja!‹ entgegenjubelt.«
Und in einer anderen Passage erzählt er: »Während wir kilometerweit dahinstolpern, im Schnee waten oder auf vereisten Stellen ausgleiten, immer wieder einander stützend, uns gegenseitig hochreißend und vorwärtsschleppend, fällt kein Wort mehr, aber wir wissen in dieser Stunde: jeder von uns denkt jetzt nur an seine Frau. Von Zeit zu Zeit schaue ich zum Himmel hinauf, wo die Sterne verblassen, oder dort hinüber, wo hinter einer düsteren Wolkenwand das Morgenrot beginnt. Aber mein Geist ist jetzt erfüllt von der Gestalt, die er in jener unheimlich regen Phantasie festhält, die ich früher, im normalen Leben nie gekannt hatte. Ich führe Gespräche mit meiner Frau. Ich höre sie antworten, ich sehe sie lächeln, ich sehe ihren fordernden und ermutigenden Blick, und – leibhaftig oder nicht – ihr Blick leuchtet jetzt mehr als die Sonne, die soeben aufgeht. Da durchzuckt mich ein Gedanke: Das erste Mal in meinem Leben erfahre ich die Wahrheit dessen, was so viele Denker als der Weisheit letzten Schluss aus ihrem Leben herausgestellt und so viele Dichter besungen haben; die Wahrheit, dass Liebe irgendwie das Letzte und das Höchste ist, zu dem sich menschliches Dasein aufzuschwingen vermag. Ich erfasse jetzt den Sinn des Letzten und Äußersten, was menschliches Dichten und Denken und – Glauben auszusagen hat: die Erlösung durch die Liebe und in der Liebe! Ich erfasse, dass der Mensch, wenn ihm nichts mehr bleibt auf dieser Welt, selig werden kann – und sei es auch nur für Augenblicke –, im Innersten hingegeben an das Bild des geliebten Menschen. In der denkbar tristesten äußeren Situation, in eine Lage hineingestellt, in der er sich nicht verwirklichen kann durch ein Leisten, […] in solcher Situation vermag der Mensch, im liebenden Schauen, in der Kontemplation des geistigen Bildes, das er vom geliebten Menschen in sich trägt, sich zu erfüllen.«
Ergreifender kann man es nicht darstellen: Das tiefste »Ja!« – man findet es in der Liebe; es trifft sich in der Liebe; es stimmt in der Liebe; es ist Liebe. Der wahre Sinn, der tiefste, tragende Sinn – er ereignet sich in dieser vollkommenen Resonanz, in der eine liebende Seele, die mit sich im Reinen ist, im Einklang schwingt mit dem großen Leben, das sie umgibt. Dieses »Ja!«, dieser Sinn, dieses Gut ist getragen von einem tiefen, wahren, sonnenklaren Gefühl – einem weisen Gefühl, das entgegen anders lautender Gerüchte keineswegs »unordentlich«, sondern ganz im Gegenteil von apollinischer Klarheit erfüllt ist: Liebe.
Um den Sinn des Lebens denken zu können, muss man ihn fühlen. Ja, bei Lichte besehen, lässt sich das eine gar nicht vom anderen trennen. Das jedenfalls lehrt nicht nur die Erfahrung der Liebenden, sondern auch die zeitgenössische Lebenswissenschaft: »Jeder Kontakt zur Welt erfolgt im Gefühl«, erläutert der Biologe und Philosoph Andreas Weber in seinem sensationellen Buch Alles fühlt . Und weiter: »Leben als solches ist Gefühl, und das Bewusstsein spiegelt dieses fühlende Wesen wider« – wobei das Gefühl immer zum Ausdruck bringt, was das Wesen braucht, um seinen inneren Zusammenhalt zu wahren; was es braucht, um mit sich im Einklang zu sein – damit ES STIMMT. Fühlen, so verstehe ich Webers Ausführungen, ist der sicherste Seismograph für die innere Stimmigkeit (oder Unstimmigkeit) unserer selbst. Und es ist immer eine Aufforderung dazu, diese innere Stimmigkeit wieder herzustellen; oder, wenn sie da ist, in der Liebe zu feiern!
Wer auf der Suche nach Sinn ist – nach dem großen Sinn, versteht sich –, sollte sein Gefühl schulen. Das hatte schon Platon gelehrt, und ich finde es verblüffend, dass 2500 Jahre später die Biologie bestätigt: Wer Sinn finden will, muss fühlen. Wer »Ja!« sagen will zum Leben, muss sein Herz
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